Ausufernde Amtshilfe

Ob Fußball, Regatta oder Waldbrand, die Bundeswehr ist stets dabei

[IMI] Der Bundeswehreinsatz im Inneren ist zur Routine geworden. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zur Amtshilfe der Bundeswehr (BT-Drucksache 16/9402) hervor. Die Zusammenarbeit insbesondere zwischen der Bundespolizei und der Armee wurde auch im Zuge der Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz weiter intensiviert. So wurden die Besatzungen von 10 Polizeihubschraubern der Bundespolizeifliegergruppe, die für den Einsatz bei der EM bereitgehalten wurden, im Rahmen der Amtshilfe in 35 Doppelzimmern der Prinz-Eugen-Kaserne in München untergebracht. Die Bundeswehr bot dem Innenministerium während des Turniers außerdem Unterkünfte in Mittenwald, Kempten und Mühlheim an. Selbst für die „Verpflegungseinnahme von ca. 220 Polizisten“ bat die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein um Unterstützung durch die Armee und bekam daraufhin eine Bundeswehrliegenschaft bei Ochtrup zur Verfügung gestellt. Die Innenministerien von Bayern und Baden-Württemberg forderten „taktische Unterstützung“ ihrer Polizeihubschrauberkräfte durch die Bundeswehr an und baten darum, Verbindungsoffiziere in einen Gefechtsstand des Einsatzführungsdienstes der Luftwaffe in Meßstetten zu entsenden. Zumindest die Baden-Württembergischen Kräfte konnten so auf die Radar- und Funk-Informationen der Bundeswehr zurückgreifen und mit deren Hilfe Luftfahrzeuge identifizieren.

Ausufernde Amtshilfe
Die Antwort der Bundesregierung macht aber auch deutlich, dass es mittlerweile keiner Großereignisse mehr bedarf, um die Unterstützung der Bundeswehr im Inland auf den Plan zu rufen. Feuerwehr, Wasser- und Bergwacht werden bei ihren Übungen und der Ausbildung ihres Personals regelmäßig durch die Bundeswehr unterstützt, die beispielsweise Helikopter für diese zur Verfügung stellt. Eingespielt zu haben scheint sich auch die militärische Unterstützung bei Waldbränden und offiziellen Anlässen. Bei Waldbränden in Brandenburg unterstützte die Bundeswehr die zivilen Einsatzkräfte mehrfach mit Hubschrauber und erstellte für diese ein militärisches Lagebild des zivilen Schadensereignisses. Beim Empfang von Staatsgästen oder Besuchen des Bundespräsidenten Köhler in anderen Landesteilen Deutschlands wurden routiniert Notärzte, Rettungsassistenten, Notarztwagen und Fahrer bei der Bundeswehr angefordert und durch diese zur Verfügung gestellt. Auch auf den unteren Verwaltungsebenen macht sich eine deutliche Enthemmung bemerkbar, wenn es um Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr geht. So ließ das Landratsamt Fürstenfeldbruck Brückenteile von Armee-Hubschraubern transportieren. Ein Antrag des Wehrbereichskommandos III Erfurt, eine Wiesenfläche als Ausweichparkplatz zu befestigen, wurde hingegen abgelehnt, allerdings lediglich mit der Begründung, dass entsprechendes Fachpersonal nicht zur Verfügung stünde.
Mittlerweile fühlen sich auch private Organisationen und Unternehmen eingeladen, auf die Bundeswehr zurückzugreifen. So bat der Erhaltungsverein des Grüntendenkmals in den Allgäuer Alpen, das an gefallene Gebirgsjäger erinnert, Gebirgspioniere um Unterstützung bei der Sanierung des Wanderweges, der zu dem Denkmal führt, und erhielt diese auch. Der Kieler Yachtclub wurde bei einer Regatta auf Anfrage durch zwei Beiboote der Bundeswehr unterstützt. Auch das Rüstungskonsortium EADS erhielt Unterstützung durch einen Bundeswehr-Hubschrauber, der ein „Radarziel“ zur Erprobung neuer Technologien simulieren sollte. Lediglich der Antrag durch den Fußballverband Rheinland e.V. zur Übersendung eines Fußballes durch einen Fallschirmspringer der Truppe wurde neben der Begründung, dass entsprechende Luftfahrzeuge und Personal nicht verfügbar seien, auch deshalb abgelehnt, weil „kein dienstliches Interesse“ bestünde.

Gezielte Vernetzung
Diese Entwicklungen sind keineswegs zufällig sondern gehen zumindest teilweise auf die „Neuordnung der territorialen Wehrorganisation“ zurück, die 2007 durchgeführt wurde. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Landesverteidigung im engeren Sinne keine Aufgabe der Bundeswehr mehr darstellt, da sie von keinen militärischen Feinden mehr bedroht ist. Stattdessen wird die Bundeswehr im Kontext des globalen Krieg gegen den Terror und dem damit einhergehenden „Quasi-Verteidigungsfall“ permanent in den „Bevölkerungsschutz“ und die vormals zivile Katastrophenhilfe eingebunden. Da die Armee aber zugleich zu einer „Armee im (Auslands-)Einsatz“ umgebaut wurde, was ihre Kapazitäten weitgehend ausschöpft, wird hierfür verstärkt auf Reservisten zurückgegriffen, wie das eben für den Verteidigungsfall vorgesehen ist. Aufschluss über diese „Neuordnung“ gibt u.a. die Antwort der Landesregierung Baden Württemberg auf eine Große Anfrage der FDP-Landtagsfraktion (Drucksache 14/531): In jedem Bundesland wurden 2007 am Sitz der Landesregierung „Landeskommandos“ aufgestellt, „um in Fragen des Katastrophenschutzes unmittelbar der Landesregierung in Belangen, die den möglichen Einsatz von Kräften der Bundeswehr betreffen könnten, beratend zur Seite zu stehen und gegebenenfalls in einem Krisenstab auf der Ebene des Bundeslandes mitzuarbeiten… Die Verbindungskommandos beraten Behörden und Organisationen über mögliche Unterstützungsleistungen der Bundeswehr, geben Forderungen weiter und erstellen das militärische Lagebild.“ In jedem Regierungspräsidium und jedem Landratsamt wurden zudem Arbeitsplätze für die jeweiligen „Beauftragten der Bundeswehr für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ (BeaBWZMZ) eingerichtet, welche bei den unteren Katastrophenschutzbehörden dieselbe Funktion erfüllen sollen und auf die internen Kommunikationsnetze der Bundeswehr zugreifen können. Dem Landeskommando Baden-Württemberg z.B. unterstehen zusätzlich „drei Regionale Planungs- und Unterstützungstrupps (RegPl/UstgTrp) in Stetten a.k.M, Karlsruhe und Freiburg, die … im gesamten Bundesland mobil eingesetzt werden können, um vor Ort Lageinformationen zu sammeln und weiterzugeben sowie eingesetzte Bundeswehrkräfte einzuweisen und gegebenenfalls organisatorische Hilfe bei der Integration in die bestehende zivile Führungsstruktur zu leisten.“ Daneben bestehen die Landeskommandos aus so genannten ZMZ-Stützpunkten. In Baden-Württemberg befindet sich ein ZMZ-Stützpunkt des Sanitätsdienstes in Horb und Ulm, ein ABC-Abwehrstützpunkt in Bruchsal. Als ZMZ-Stützpunkt für das Pionierwesen dient das Spezialpionierbataillon in Speyer. Die Verbindungskommandos auf Ebene der Landkreise und Regierungsbezirke bestehen aus Reservisten, ebenso „sollen in den Reservistenkameradschaften des Reservistenverbands so genannte ´Kompetenzteams´ – bestehend aus 15 Soldaten der Reserve, die von einem Offizier und seinem Stellvertreter geführt werden – für die Not- und Katastrophenhilfe zusammengestellt und ausgebildet werden.“ Obwohl ihnen dabei das Tragen von Uniformen erlaubt ist, gelten sie im Einsatz im Inland nicht als Soldaten, sondern als ehrenamtliche Helfer, wodurch dieser nach Einschätzung der Regierung leichter mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Der Einsatz von Reservisten bei der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Inland hat zwei weitere Vorteile: Erstens ist es so möglich, den Kontakt zur Bundeswehr über ortsansässige Männer mit guten Verbindungen zu den lokalen Eliten herzustellen. Zweitens hat die Bundeswehr selbst aufgrund ihrer zahlreichen Auslandseinsätze gar nicht mehr die Kapazitäten, dauerhaft Personal für eventuelle Katastrophenfälle bereit zu stellen.

Abrüstung der Bundeswehr – für einen zivilen Katastrophenschutz!
Die Unterstützung durch die Bundeswehr in Katastrophenfällen mag aufgrund ihrer logistischen Fähigkeiten zunächst sinnvoll erscheinen. Tatsächlich ist sie jedoch ein entscheidender Schritt zur Militarisierung der Inneren Sicherheit. So hat der Oberst im Generalstabsdienst, Bernhard Frank, in seinem Beitrag "Hilfeleistungen der Bundeswehr in Deutschland" in der Zeitschrift „Europäische Sicherheit“ (März 2007) eindeutig klargestellt, dass die Armee, ist sie erst einmal angefordert, ihre Einsätze in weitgehender Autonomie durchführt: "Die zivile Behörde, die für die Leitung des Katastropheneinsatzes verantwortlich ist, gibt lediglich das gewünschte Ziel und die beabsichtigte Wirkung der militärischen Unterstützungsleistung vor. Die Umsetzung dieser Anforderung in konkrete Aufträge an Verbände/Dienststellen der Bundeswehr erfolgt durch die Territorialen Kommandobehörden auf den verschiedenen Ebenen." Zugleich wird der Bund über die Bundeswehr somit zum zentralen und bestimmenden Akteur bei Großschadenslagen, bei deren Bewältigung nach dem Grundgesetz aus gutem Grunde die regionalen Behörden die Kontrolle ausüben sollen. Der wachsende Einfluss des Bundes und der Bundeswehr ist somit ein konkreter Ausdruck und Teil der Durchsetzung des „Quasi-Verteidigungsfalles“, indem die Trennung zwischen Zivilschutz mit militärischer Beihilfe im Verteidigungsfalle und rein zivilem Katastrophenschutz in Friedenszeiten aufgehoben wird.
Dass der zivile Katastrophenschutz selbst nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt, ist ein Skandal und hochgefährlich. Die Tatsache, dass militärische Bedrohungen de facto nicht mehr bestehen, sollten zu einer Abrüstung der Bundeswehr führen und so – statt erhöhten Wehretats – Mittel für die zivile Sicherheit freistellen. Stattdessen wird der Wehretat regelmäßig erhöht und durch zivile Etats querfinanziert. Auch das THW als mehr oder minder zivile Katastrophenschutzorganisation ist zunehmend im Rahmen von Bundeswehreinsätzen im Ausland aktiv. Zumindest bei der Bundeswehr genießen diese Auslandseinsätze oberste Priorität, die Hilfestellungen im Inland können nur stattfinden, wenn die Kapazitäten dafür gerade zur Verfügung stehen. Der zivile Katastrophenschutz jedoch wird zu Gunsten der Bundeswehr vernachlässigt und muss sich zunehmend auf deren Unterstützung verlassen. Ob diese aber im Ernstfall vorhanden ist, bleibt unsicher. Die Bundeswehr muss abgerüstet werden und den zivilen Hilfsorganisationen eine eigene umfassende und leistungsfähige Logistik zur Verfügung gestellt werden. Dann ist die deutsche Hilfe, ohne Uniformen, Gewehre und das Kommando des Verteidigungsministeriums, vielleicht auch wieder im Ausland willkommen.

Source: http://www.imi-online.de