Finales FISA Gesetz für den Geheim(dienst)staat USA

[kairaven.de] Nachdem die Abgeordneten des US-Kongresses am 20. Juni den Entwurf des
"FISA Änderungsgesetzes 2008 (H.R. 6304)" (HTML / PDF) mit 293 Ja- zu 129-Nein Stimmen
– mit Unterstützung von 105 Demokraten, die ihre Ja-Stimmen
beisteuerten und Zustimmung durch den demokratischen
Präsidentschaftskandidaten Barack Obama – angenommen hatten – der erst einen Tag zuvor allen Abgeordneten präsentiert wurde, hat heute auch der US-Senat mit 69 Ja-Stimmen zu 28 Nein-Stimmen das Änderungsgesetz zur "Modernisierung des FISA Gesetzes" beschlossen.
Diesmal hatten die Abgeordenten über eine Woche Zeit, sich den Entwurf
durchzulesen, da eine abschließende Abstimmung am 26. Juni verschoben
wurde. Genutzt hat es nichts.

Der Ausgangspunkt für das
Änderungsgesetz waren geheime Überwachungsprogramme der Geheimdienste,
zu denen neben der Auswertung von Verkehrsdaten, die den Geheimdiensten
von den Providern übergeben wurden, das Terrorist Surveillance Program (TSP)
gehörte. Die Programme wurden nach oder bereits vor dem 11. Spetember
2001 aufgrund geheimer Direktiven des US-Präsidenten gestartet, die
sich über die bisherigen Regulierungen und Vorschriften des "Foreign
Intelligence Surveillance Gesetzes (FISA)" und Pflichten zur
Information der US-Parlamente hinwegsetzten. Für das TSP stellten
US-Justizministerium und die Direktoren der US-Geheimdienste
Anordnungen an amerikanische Internet- und Telekommunikationsprovider
aus, die US-Provider zur Kooperation bewegten, um auch im Inland an
inländischen Verbindungswegen und Schaltzentralen für den Transport der
Kommunikationsinhalte Spionage gegen US-Bürger und sich in den USA
aufhaltenden Personen betreiben zu können.

NSA ATT

Diagramm einer Abhörinstallation der NSA beim US-Provider AT&T für die "Staubsauger-Überwachung", die auf die Berichte von Mark Klein anspielt.
Abbildung: EFF.

Diese
Form der illegalen und geheimen Überwachung praktizierten die
Bush-Administration und die US-Geheimdienste bis 2005, als die New York
Times in ihrem legendären (aber bis dahin zurückgehaltenen) Artikel die geheimen Überwachungsprogramme und das TSP aufdeckte.

Weiter fortgeführt, aber nun gezwungen, die Ausschüsse der
US-Parlamente – zumindest teilweise einzelne Mitglieder – zur Kontrolle
der Geheimdienste und des Militärs zu informieren und das TSP dem FISA
Gericht vorzulegen, wurden die Aktivitäten bis Anfang 2007, wo das FISA
Gericht in bis heute unter Geheimhaltung stehenden Beschlüssen den
Umfang des TSP einschränkte und Bedingungen für den Einsatz des
TSP-Instrumentariums aussprach. Dem folgte im August 2007 der "Protect America Act", der – ebenfalls mit Zustimmung der Demokraten – der Aufrechterhaltung des TSP-Überwachungsregimes diente und im Februar 2008 auslief.

Während
der ganzen Zeit, vom Bekanntwerden der Programme 2005 bis 2008 erhoben
amerikanische Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen wie die ACLU
oder die EFF Klagen gegen die kooperienden US-Provider, die NSA und die
Bush-Administration, die sich bis heute auf 47 Verfahren summierten.
Begleitet von einer Debatte in den US-Medien, innerhalb der Parteien,
den Parlamenten, der Regierung und den Geheimdiensten um die
"Notwendigkeit" der "Modernisierung des FISA Gesetzes", hinter der sich
nichts anderes verbarg als die Sicherung und gesetzliche Festschreibung
des illegalen Überwachungsregimes, das um 2001 in Gang gebracht wurde,
die Einschränkung der Kontrollfunktionen des FISA Gerichts und den
Schutz der kooperienden Provider vor rückwirkender Strafverfolgung. Das
Ergebnis ist das beschlossene FISA Ergänzungsgesetz.

Was mit dem
FISA Gesetz feststeht, ist die Immunität für die kooperienden
US-Provider, denn in allen noch laufenden Verfahren braucht ein
Vertreter des US-Justizministeriums dem Reichter nur ausweisen, dass
der Provider eine Anordnung erhalten hatte, die dem Provider die
Zustimmung des US-Präsidenten und den legtitimen Zweck der
Terrorbekämpfung signalisierte, damit der Reichter das Verfahren
niederlegen muss. Zuvor musste die US-Regierung noch in den anhängigen
Verfahren unter Ausnutzung ihres Staatsgeheimnis-Privilegs
arbeitsintesiv erreichen, dass außer dem Richter niemand erfährt, was
die US-Provider jahrelang mit den US-Gheimdiensten getrieben haben.

Im Vorlauf des heutigen Beschlusses hatten die beiden Senatoren Dodd
und Leahy und Senator Bingaman, alle von den Demokraten, zwei
Änderungsvorschläge zum FISA Änderungsgesetz eingebracht. Während der
Vorschlag von Dodd und Leahy die Immunitätsklauseln vollständig
entfernt hätte, zielte Bingamans Vorschlag,
der auch von Bürgerrechtsorganisationen wie der EFF, der ACLU oder dem
Center for Democracy & Technology unterstützt wurde, auf einen
Kompromiss, der vorsah, die anhängigen Klagen so lange einzufrieren,
bis die Generalbeauftragten des US-Justizministeriums und der
Geheimdienste zur Überprüfung des Terrorist Surveilance Program dem
US-Kongress ihren Bericht vorlegen und sich der US-Kongress 90 Tage zur
Auswertung der Berichte Zeit genommen hätte, um zu entschieden, ob die
Immunitätsklauseln Bestand haben dürfen. Wie bisher bei allen
Versuchen, die Immunität zu beseitigen, hatte die Bush-Administration
ihr Veto für den Fall angekündigt, dass einer der Änderungsvorschläge
Bestand haben könnte und so wurden alle Änderungsvorschläge der
demokratischen Senatoren vom US-Senat vor der Verabschiedung des
Gesetzes gekippt.

Damit erhalten nicht nur alle Provider
Immunität, auf die sie auch in Zukunft bauen werden, wenn von den
US-Sicherheitsbehörden ähnliche und vielleicht wieder illegale
Überwachungsanordnungen ergehen, sondern auch der US-Präsident und alle
in den Überwachungsprogrammen involvierten Behörden und ihre Verteter.

Was
ebenfalls garantiert ist, ist die weitere Nutzung TSP-ähnlicher
Überwachungsprogramme in verschiedener Ausprägung und -weite. Über die
Ausprägung und -ausweite herrscht nach einem Überblick in US-Medien und
-Blogs große Fragezeichen und großes Rätselraten vor.

Einen Eindruck davon und über mögliche Konsequenzen der sogenannten
"FISA Modernisierung" gewinnt man zum Beispiel in den Beiträgen von
David Kris, der als hochrangiges Mitglied im US-Justizministerium bis
2003 auch mit den FISA befasst war, im Weblog Balkinization: A Guide to
the New FISA Bill, Part I, Part II, Part III und FISA Fix Follow-Ups. Von ihm stammt auch das 42-seitige Arbeitspapier Modernizing the Foreign Intelligence Surveillance Act,
in dem die Vorgeschichte des FISA Gesetzes und seine erst illegale bis
nachträglich legitimierte "Modernisierung" von 2005 bis zum Auslaufen
des Protect America Acts Anfang 2008 beleuchtet wird.

Interessant sind auch die Beiträge von Glenn Greenwald im Magazin Salon im Juni 2008, der sich auch der unrühmlichen Rolle der Demokraten und ihres Präsidentschaftskandidaten annimmt, der Beitrag Does "Targeting" Authorize the Vacuum Cleaner? von Jim Dempsey im PolicyBeta Blog des Centers for Democracy and Technology (CDT) oder der Beitrag Telco immunity is the icing, not the cake von Ars Technica. Zur Information gehören natürlich auch die NSA Spying Seite der EFF und die FISA Seite der ACLU.

Was man nach den genannten und vielen weiteren Versuchen, das neue FISA
Gesetz zu interpretieren, sagen kann: Wenn es um das Abfangen und
Auswerten von Kommunikation geht, die vollständig im Ausland
abgewickelt wird, können Geheimdienste wie die NSA von jedem und
überall abhören, auch "Beifänge" von US-Bürgern im Ausland oder im
Inland, wenn sich die Abhörmaßnahme nicht gezielt gegen einen
bestimmten US-Bürger im Ausland richtet.

Sie können mit Unterstützung der amerikanischen ITK-Provider auch an
jeder Stelle im Inland die Kommunikation zwischen Inland und Ausland
abhören und auswerten, wenn Überwachungsmaßnahmen und -programme im
Antrag vor dem FISA Gericht speziell begründet werden. Dazu zählt, dass
die Maßnahmen auf keinen speziellen US-Bürger abzielen, sondern auf
Personen und Gruppierungen im Ausland, die die "Nationale Sicherheit"
gefährden, also die Maßnahme oder das Programm in der Hauptsache die
Gewinnung geheimdientlicher Informationen über Vorgänge im Ausland
ausmachen. Ist kein einzelner US-Bürger das Target, brauchen
Justizminister und Geheimdienstchefs auch keine speziellen Personen und
Gruppierungen benennen – sie müssen nicht zwangsweise wie bisher "der
Agent einer ausländischen feindlichen Macht" sein – oder Angaben
darüber machen, welche E-Mail Adressen und Telefon-Nummern betroffen
sind oder an welcher Stelle, in welcher technischen Einrichtung der
ITK-Infrastruktur im Inland die Überwachung stattfindet.

Was
die Genehmigung und Kontrolle durch das FISA Gericht angeht, kann der
US-Justizminister und der Direktor der US-Geheimdienste im "Notfall"
für sieben Tage Ad-hoc Überwachungsmaßnahmen durchführen, bevor erst
Begründung und Antrag beim FISA Gericht nachgereicht werden muss. Die
Begründung muss nur eine Beschreibung der Überwachungsmaßnahme oder
-plans und der "richtigen" Zwecke enthalten, die den obigen "Charakter"
aufweisen und die getroffenen Prozeduren beschreiben, mit denen die
Resultate der Überwachungsaktivitäten auf das notwendige Ausmaß
begrenzt und die Inhalte der "Beifänge" von US-Bürgern, die miterfasst
werden, aber für die Zwecke des Überwachungsprogramms keinen Gewinn
darstellen, aussortiert werden. Das FISA Gericht prüft also formal
Charakter und Begründung des Programms und das Vorhandensein von
Elementen, die im Antrag enthalten sein müssen. Mehr aber auch nicht.

Liegen die Dokumente endlich vor, kann sich das FISA Gericht 30 Tage
Zeit zur Prüfung lassen. Findet es Fehler, können sich die
Verantwortlichen nochmal 30 Tage Zeit lassen, um den Anforderungen des
Gerichts zu entsprechen und auch noch in Berufung gehen, währenddessen
das Überwachungsprogramm weiter fortgeführt werden kann.

Die
Geheimdienste und das US-Justizministerium müssen sich also nur
Begründungen und Anträge einfallen lassen, die raffiniert genug
formuliert und auf Überwachungsprogramme ausgerichtet sind, die alle
Kritiker und Gegner des FISA Änderungsgesetzes mit der Annahme durch
Kongress und Senat befürchten: Breit angelegte Staubsauger-Überwachung,
die auch an inländischen Knotenpunkten eingerichtet wird, für die sich
nicht nachweisen lässt, dass sie auf zu spezifische Zielpersonen mit
amerikanischer Staatsbürgerschaft oder amerikanischen Aufenthaltstiteln
gerichtet ist, sondern allgemein der Abwehr von Bedrohungen aus dem
Ausland für die "Nationale Sicherheit" im Inland dienen soll. Klappt
das Ganze nicht, weil man Antrag und Begründung verbockt, kann die
Staubsauger-Überwachung wenigstens für einige Wochen oder Monate
genutzt werden und das ist doch auch schon etwas.

Anti-FISA Anzeige

Anfang einer Anzeige,
die morgen in der Washington Post erscheinen soll, gegen das FISA
Änderungsgesetz und alle politisch Verantwortlichen, die mit dazu
beigetragen haben, das 2001 begonnene willkürliche und gesetzlose
Handeln der US-Geheimdienste, US-Provider und der Bush-Administration
2008 Recht und Gesetz werden zu lassen.

Am Ende gilt wie schon zu Zeiten vor und nach 09/11, ab 2005 oder
jetzt, dass man als Amerikaner oder Ausländer, in den USA oder im
Ausland in die Überwachungsraster der US-Geheimdienste fallen kann und
die Verbindungs- und Inhaltsdaten jeder Art von Kommunikation
absichtlich und zielgerichtet, "ursprünglich nicht beabsichtigt" oder
nebenbei von den Überwachungsinfrastrukturen der Geheimdienste und des
eigenen Providers abgefangen und abgesaugt werden (können). Die
Kontrollfunktion des FISA Gerichts, die vor allem auch der Begrenzung
der Macht und Überwachungs-Eigenmächtigkeiten (siehe R. Nixon) des
regierenden Präsidenten und seiner Administration diente, ist ein Stück
weit mehr zur Farce geworden und das Vordringen der
Überwachungstentakeln der US-Geheimdienste in die inländischen
Kommunikationsinfrastrukturen ein Stück weit mehr ermächtigt worden.
Wenn man das begreift, kann man entsprechend handeln und weiß, in
welchem Staat man mittlerweile lebt.

Übrigens
hatte ich den Beitrag bereits am 26. Juni fast fertig, bevor die
Entscheidung zur Verschiebung der finalen Abstimmung im US-Senat
getroffen wurde, weil ich mir trotz geäußerter Gedankenspiele in den
Medien sicher war, dass sich auch dieses Mal das Gros der Demokraten
treu bleiben und als politische Verräter & Warmduscher umkippen
würden. Denn – YES, das können sie.

Bush unterzeichnete das Gesetz einen Tag später in einer feierlichen Zeremonie im Kreise seiner Kumpane.

Source: blog.kairaven.de