Grenzwachtkorps und Polizei auf dem Weg nach Schengen

Sorge über Unterbestände des GWK – generell höherer Migrationsdruck spürbar

[nzz.ch] Im Dezember tritt die Schweiz Schengen bei. Die
Sicherheit an den Landesgrenzen beschäftigt deshalb die Politik wieder
verstärkt. Beim Grenzwachtkorps und unter den Polizeikommandanten ist
man allerdings überzeugt, auf Schengen gut vorbereitet zu sein.

met.
Am kommenden 5./6. Dezember wird die Schweiz voraussichtlich
Schengen-Mitglied. Zunächst gilt das mit Bezug auf die Landgrenzen; die
«Aussengrenze» (Flughäfen) folgt im März 2009. Das nahende Stichdatum
erhöht die Sensibilisierung für Fragen der Sicherheit an der Grenze
auch in der Politik. Vor zwei Wochen haben 130 Mitglieder des
Nationalrats von links bis rechts eine Motion von Nationalrat Hans Fehr
(svp., Zürich) unterzeichnet, die eine rasche Aufstockung des
Grenzwachtkorps (GWK) – heutiger Sollbestand: 2000 – um 200 bis 300
Einsatzkräfte verlangt. Gefordert wird auch eine konkurrenzfähige
Besoldung vorab der jungen Korpsmitglieder. Der Motionär begründet
seinen Vorstoss unter anderem mit der Notwendigkeit einer lagegerechten
Kontrolldichte und weist darauf hin, dass sich mit Schengen die
Situation verschärfe, weil Personenkontrollen an den Binnengrenzen
nicht mehr zulässig seien. Das ist nur teilweise korrekt, denn die
Waren- und Zollkontrollen führt die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied
selbstverständlich weiter. Diese von Personenkontrollen scharf
abzugrenzen, ist schwierig bis «akademisch». Richtig ist, dass die
Personenkontrollen nicht mehr «systematisch» durchgeführt werden
dürfen, weil das mit dem Schengen-Grundsatz des freien Reiseverkehrs
kollidiert.

Forderung der Motion willkommen

Beim GWK bestätigt man, dass in gewissen Regionen, namentlich in der
Westschweiz, einerseits Unterbestände bestehen und dass anderseits die
Rekrutierung junger Grenzwächter schwierig ist, weil die Löhne, vor
allem die Anfangsbesoldung, gegenüber der Polizei nicht konkurrenzfähig
sei. Kommunikationschef Thomas Schrämli sagt, Interessenten gebe es
zwar genug, doch erfüllten viele die Anforderungen nicht. Derzeit
erreicht das GWK den Sollbestand nicht, das Korps umfasst heute 1938
Personen. Die Anforderungen zu senken, komme nicht in Frage. Mit einer
Werbekampagne will man das Berufsbild des Grenzwächters besser bekannt
machen. Oft werde er mit dem «Zöllner» verwechselt oder als der
Uniformierte gesehen, der «stundenlang mit dem Feldstecher im Wald auf
der Lauer liegt» – was mit der heutigen Wirklichkeit längst nicht mehr
übereinstimme. Die Forderung der Motion, das Korps zu vergrössern, sei
selbstverständlich willkommen. Auch GWK-Chef Jürg Noth hat ohne genaues
Beziffern des Unterbestandes wiederholt darauf hingewiesen, die
Personalknappheit zwinge vermehrt zum Setzen von Schwerpunkten in der
Kontrolltätigkeit. Betont wird beim GWK aber, dass die Sicherheit an
der Grenze auch mit den heute einsetzbaren Grenzwächtern gewährleistet
sei.

«Lampedusa-Route»

In jüngster Zeit war in Medienberichten öfters von erhöhtem
Migrationsdruck aus Afrika die Rede, nicht nur, aber besonders an der
Südgrenze (sogenannte «Lampedusa-Route»). Schrämli bestätigt das, auch
mit Bezug auf Einreisen mit der Bahn. Motionär Hans Fehr beklagt in
seinem Vorstoss, dass in Chiasso nur etwa 30 Prozent der aus Süden
kommenden Züge kontrolliert würden. Schrämli spricht von einer Art
«Torschlusspanik» unter Asylsuchenden, befördert durch eine höhere
Repression in Italien, aber auch genährt durch die Tatsache, dass die
Schweiz noch nicht Schengen-Mitglied ist. Das Letztere sei indes ein
Trugschluss, denn seit dem 14. August ist die Schweiz an das
Fahndungssystem SIS (Schengen Information System) bereits
angeschlossen. 100 Prozent der Züge zu kontrollieren, sei weder möglich
noch nötig. Entscheidender sei es, in Zusammenarbeit mit Italien ein
präzises Lagebild zu gewinnen. Wer steigt in Mailand in die Transitzüge
ein? Wie sehen die rasch, manchmal täglich wechselnden
Grenzübertrittspräferenzen der Schlepper, Drogenkuriere und Geldwäscher
aus? Hier gelte es zu analysieren, Trends zu erkennen, rasch zu
reagieren und Kontrollschwerpunkte zu setzen. Auch sei die Schweiz
nicht das Endziel vieler illegal Einreisender. Und schon gar nicht zu
vergleichen sei die Situation mit der Zeit des Kosovo-Krieges, als
zeitweise täglich um die 120 Personen an der Südgrenze auftauchten.

Schengen betrifft nicht nur das GWK, sondern auch die Polizei. Beat
Hensler, Kommandant der Luzerner Kantonspolizei und Vorsitzender der
Schweizer Polizeikommandanten-Konferenz, ist gespannt darauf, wie sich
die Lage an den Landesgrenzen ab dem Dezember entwickeln wird. Mit
spektakulären Veränderungen rechnet er nicht, denn ein
Philosophiewechsel habe – Schengen-induziert – längst stattgefunden.
Kontrolliert wird weniger auf der Grenze und mehr im rückwärtigen Raum.
Eingebürgert hat sich dafür der Ausdruck «Schleierfahndung», den
Hensler für unglücklich hält, weil er fälschlicherweise Bilder von
verdeckter Ermittlung oder getarnten Posten suggeriere. Insgesamt
erwartet Luzerns Polizeichef, und zwar in Übereinstimmung mit den
anderen kantonalen Polizeikommandanten, von Schengen einen Zugewinn an
Sicherheit – dank der besseren Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen und
dank dem SIS. Dieses moderne Fahndungssystem werde einheitlich im
gesamten Schengen-Raum angewendet und sei den Systemen Europol und
Interpol (die weiter bestehen) bezüglich Detaillierungsgrad und
Reaktionsschnelligkeit überlegen. Nach Angaben von Schrämli generiert
das System in der Schweiz täglich 30 bis 40 «Hits». Sie betreffen
Personenfahndungen sowie vermisste oder gestohlene Dokumente und
Fahrzeuge.

Mustervereinbarung

Für klug geregelt hält Hensler die Schengen-Zusammenarbeit zwischen
dem GWK und den kantonalen Polizeikorps. Die mit den einzelnen Kantonen
abgeschlossenen Verträge basieren auf einer von der Konferenz der
kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) erarbeiteten
Mustervereinbarung. Diese achtet die kantonale Polizeihoheit und den
wichtigen Grundsatz, dass nicht mehrere Chefs im gleichen Raum tätig
sein dürfen. Geregelt werden etwa gemischte Patrouillen des GWK und der
Polizei. Definiert wird – je nach Topografie – der rückwärtige Raum, in
dem mobile Kontrollen getätigt werden. Wenn GWK-Organe Polizeiaufgaben
wahrnehmen, ist die Einsatzleitung der kantonalen Polizeikorps zu
informieren, denen in jedem Fall der «Lead» zusteht. Zufrieden ist
Hensler auch mit dem Ausbildungsverlauf mit Blick auf den Anschluss an
das SIS. «Wir sind bereit», sagt er, «alles ist ausgetestet, und zwar
bis auf die Stufe Patrouille.» In mehreren Kantonen haben Examen durch
Brüsseler Experten stattgefunden, mit positivem Ergebnis.

Source: http://www.nzz.ch