Guineer werden ist nicht schwer

[jungle-world.com] Es
geht auch unbürokratisch: Mitarbeiter der Dortmunder und der Hamburger
Ausländerbehörden haben auf einer Dienst­reise nach Guinea die
erforderlichen Papiere für die Abschiebung von Flüchtlingen besorgt.
Unter den Betroffenen ist mindestens einer, der bestreitet, aus dem
west­afrikanischen Land zu stammen.

von Ron Steinke

Wohin nur? Sollten Sie je versucht haben, einen Menschen aus
Deutschland abzuschieben, dann kennen Sie sicherlich diese Frage. Ohne
gesicherte Erkenntnisse über das Herkunftsland eines Flücht­lings kann
man sich seiner legal nicht entledigen. Einen Sans papiers nimmt kein
anderes Land freiwillig auf. Doch keine Sorge: Wenn es um Abschiebungen
geht, zeigen deutsche Behörden seit jeher ungeahnte Kreativität.

Dies stellten zuletzt Vertreter der Ausländerbehörden
Dortmunds und Hamburgs unter Beweis. Wie sich kürzlich herausstellte,
flogen die Beamten im Juli bis nach Guinea, um die ins Stocken geratene
Kooperation mit diesem »Zielland« zahlreicher Abschiebungen wieder zu
verbessern. Derart aufwändige Dienstreisen hätte man bis vor kurzem
nicht für nötig gehalten, gab es doch über Jahre eine enge und für
beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit der deutschen
Ausländerbehörden mit dem westafrikanischen Staat, einem der ärmsten
und Transparency International zufolge auch einem der korruptesten der
Welt.

Um für afrikanische Flüchtlinge »Passersatzpapiere« zu beschaffen –
offizielle Dokumente über Identität und Staatsangehörigkeit –, hatten
Ausländerbehörden aus zehn Bundesländern im vergangenen Sommer eine so
genannte Flüchtlingsanhörung in den Räumen der Braunschweiger Behörde
organisiert. Zwei Wochen lang wurden Afrikanerinnen und Afrikaner vor
eine aus Guinea eingeladene Delegation geführt. Zwar hat­ten die
wenigsten der Betroffenen zuvor angegeben, aus Guinea zu stammen.
Dennoch stellte die Delegation für fast die Hälfte von ihnen eine
Bescheinigung über die guineische Staatsbürgerschaft aus, wofür die
Ausländerbehörde jeweils eine »Gebühr« entrichtete. Als dieses Vorgehen
al­lerdings – nach Protesten unter ande­rem von Amnesty International –
in einer guine­ischen Ta­geszeitung publik gemacht wurde, erklärte
Guineas Außenminister, er habe von der in Braun­schweig tätigen
Delegation keinerlei Kennt­nis, niemand sei zu einer solchen Tätigkeit
autorisiert worden. Die geplante Sammelabschie­bung von Deutschland
nach Guinea platzte deshalb im letzten Moment. Echte und vermeint­liche
Guineerinnen und Guineer mussten aus der Abschiebehaft entlassen werden
(Jungle World 41/07).

Da auch die guineische Botschaft in Deutschland sich seither
weigerte, entsprechende Papiere auszustellen, die eine Abschiebung
ermöglichen, flogen Mitarbeiter der Dortmunder und der Hamburger
Ausländerbehörde im Juli kurzerhand selbst nach Guinea. Ihre Reise
unternahmen sie in Absprache mit dem Bundesinnenministerium, wie der
Leiter der Dortmunder Ausländerbehörde, Frank Binder, betont, und im
Auftrag auch der übrigen Bundesländer.

Binders Angaben zufolge gelang es den deutschen Beamten dort, die
guineische Regierung teilweise umzustimmen: Nach dem Besuch erklärte
sich die Regierung in Conakry bereit, die Papiere, die in den
vergangenen Jahren in Deutschland ausgestellt wurden, nun doch
anzuerkennen. Abschiebungen sollen aber nur in kleinem Umfang wieder
zugelassen werden. Guinea gestattet mit den in der Bundesrepublik
hergestellten Dokumenten zunächst nur jährlich zwei Abschiebungen von
maximal je fünf Personen.

Vor ihrem Abflug nach Guinea hatten die Mitarbeiter der
Dortmunder Ausländerbehörde ihren Kollegen in den übrigen Bundesländern
allerdings noch einen weiteren Zweck ihrer Reise mitgeteilt: In Guinea
sollten neue Ausweispapiere für afrikanische Sans papiers in
Deutschland beschafft werden. Die begehrten Dokumente, welche die
Dortmunder Ausländerbehörde in Aussicht stellte, würden »unbegrenzt
gültig sein« und könnten »für eine Abschiebung genutzt werden«, heißt
es dazu in einem internen Aktenvermerk der Ausländerbehörde im
niedersächsischen Winsen an der Luhe. Die Kosten betrügen 2 500 Euro
pro Flüchtling.

Der Preis erschien zumindest den Beamten in Winsen an der Luhe
anscheinend als angemessen. In der Akte von Laurent Camara*, einem
papierlosen Flüchtling, der bestreitet, aus Guinea zu stammen, findet
sich ein Vermerk vom 16. Juli, man wolle seine persönlichen Daten noch
eilig an die Ausländerbehörde in Dortmund übermitteln, bevor die Reise
der Dortmunder Kollegen losgehe.

Unmittelbar nachdem die deutschen Beamten am 19. Juli nach Guinea
geflogen waren, tauchte in Deutschland ein offizielles guineisches
Reisedokument für Camara auf – abzuholen bei der Hamburger
Ausländerbehörde. Camara wurde daraufhin umgehend in Abschiebehaft
genommen.

»Wenn solche – für afrikanische Verhältnisse – enormen Summen
gezahlt werden, liegt es sehr nahe, dass diese Papiere auf legalem Wege
nicht zu erhalten waren«, sagt Conni Gunnßer vom Flüchtlingsrat Hamburg
im Hinblick auf die Kosten von 2 500 Euro. Ebenso wie Camaras Anwalt,
Jan Sürig, vermutet sie, dass bei der Guinea-Reise im Juli nicht nur
für Camara Dokumente besorgt wurden. Der Leiter der Ausländerbehörde
Dortmund, Frank Binder, wollte sich dazu zunächst nur schriftlich
äußern, bestätigte dann aber mündlich, dass es in Guinea die
»Möglichkeit gegeben« habe, entsprechende Papiere zu erhalten,
zumindest für eine weitere Person habe man auch eines »besorgt«. Die
Dokumente seien von zwei Beamten der guineischen Einreisebehörde
ausgestellt worden, die zuvor auch an Flüchtlingsanhörungen in
Deutschland beteiligt waren. Gezahlt habe man ihnen allerdings nur 250
Euro. »Vielleicht hat da jemand eine Null zu viel notiert.« Die
Ausländerbehörde Hamburg verweigerte jeglichen Kommentar.

Auf unbürokratische Weise hat sich die Hamburger
Ausländerbehörde schon einmal in jüngster Zeit guineische Papiere
beschafft. Im Februar wurde bekannt, dass die Behörde Anfang 2007 acht
Ausweispapiere aus Guinea an die Zentrale Abschiebungsstelle
Sachsen-Anhalts vermittelt hatte. Die »Einreisebeihilfe«, wie eine
Sachbearbeiterin aus Sachsen-Anhalt den Preis für die guineischen
Dokumente intern bezeichnete, fiel damals allerdings noch etwas
günstiger aus als zuletzt bei der Guinea-Reise im Juli. Die Papiere
kosteten das Bundesland Sachsen-Anhalt damals 2 000 Euro pro
Flüchtling. Das Geld für acht guineische Reisedokumente, insgesamt
16 000 Euro, wurde an die Hamburger Landeskasse überwiesen.

Woher die Dokumente kamen? Auf eine parlamentarische Anfrage der GAL
erklärte im Februar die damalige Hamburger CDU-Regierung, das Geld sei
einem »Vertreter« einer nicht näher spezifizierten guineischen
»Behörde« »in bar gegen Quittung übergeben« worden.

Wie gewissenhaft die vorherige Prüfung der guineischen
Staatsangehörigkeit in Deutschland verlief, belegt die Bestellung,
welche eine Mitarbeiterin der Zentralen Abschiebungsstelle
Sachsen-Anhalts ihren Hamburger Kollegen damals mit auf den Weg gab.
Die Beamtin stellte in einem Schreiben an die Hamburger
Ausländerbehörde eine Namensliste mit acht »Kandidaten« auf, »welche
ich sehr gerne nach Guinea schicken würde« – von denen allerdings kein
einziger eine offizielle Bescheinigung über eine guine­ische Herkunft
hatte, wie aus derselben Liste hervorgeht.

Neben einem der Namen steht dort schlicht, zur Frage der Herkunft
sei bislang »keine Einschätzung möglich«. Bei den übrigen sieben wird
auf die Einschätzung der eingangs erwähnten dubiosen guineischen
»Delegation« verwiesen, die im Jahr 2005 auch in Hamburg eingesetzt
wurde. Am Ende ihres Schreibens bittet die Sachbearbeiterin aus
Sachsen-Anhalt ihre Hamburger Kollegen um eine Kontonummer, an die sie
das Geld für die guineischen Papiere überweisen könne.

* Name von der Redaktion geändert

Source: http://jungle-world.com/artikel/2008/43/27229.html