Ein Jahr nach dem Schiffbruch von Vendicari

17 Tote waren vor einem Jahr an der sizilianischen Ostküste
angeschwemmt worden, drei von ihnen, Palästinenser, sind namenlos
geblieben. Said ist Ägypter, er hat fünf Familienmitglieder bei dem
Schiffbruch verloren. Anfang November 2008 organisieren
FlüchtlingsaktivistInnen eine Gedenkveranstaltung.

Said lebte schon seit einigen Jahren in Mailand, als ihn der Anruf
erreichte: unsere Verwandten sind mit dem Boot losgefahren und haben
sich nicht mehr gemeldet! Said versucht über die die Polizei in Mailand
und Rom Näheres zu erfahren, schließlich schickt man ihn nach Sizilien.
Da seien 17 Leichen angeschwemmt worden, er solle sie identifizieren.
Zwei Cousins, einen Schwager, einen Neffen und seinen Bruder verliert
Said mit einem der unzähligen Schiffsbrüche im Meer rund um Sizilien.
Ein Jahr später organisieren sizilianische und deutsche
FlüchtlingsaktivistInnen einen Gedenktag für die 14 toten Ägypter und
die drei namenlosen toten Palästinenser, um auch der anderen Tausenden
Opfer der Abschottungspolitik zu gedenken, die auf dem Grunde des
Meeres bleiben.
Imam Mufid aus Catania betet mit den angereisten Verwandten der
Verstorbenen, nachdem eine Kolonne von an die 25 Autos mit schwarzen
Trauerbändern und Schuhen, dem Symbol der Angestrandeten, ans Meer
fährt. Er spricht von der Verantwortung der europäischen Politik, von
den unvergessenen Toten, die auf der Flucht ihr Leben gelassen haben.
Circa 80 Menschen haben sich am Strand versammelt, an dem ein Schild an
die Toten erinnert, eine Palme ist gepflanzt worden und rote Blumen
schmücken das provisorische Grab. Said wirft zwei große Sträuße mit
Rosen ins Meer und weint um seine verstorbenen Verwandten.
Jedes Jahr verlieren Hunderte von Flüchtlingen ihr Leben auf See. Die,
die Italien erreichen, haben oftmals keinerlei Chance, legal im Land zu
bleiben. Sie werden in die Aufnahmezentren gesteckt, nicht selten
inhaftiert.
Im Oktober 2008 hat sich eine Gruppe von sizilianischen und deutschen
FlüchtlingsaktivistInnen zusammengeschlossen und „borderline-sicilia“
gegründet. In 2009 will der Verein ein Beobachtungszentrum und eine
Beratungsstelle für Flüchtlinge aufbauen, Sensibilisierungsaktionen
sollen die Aktivitäten ergänzen.
Sizilien ist und bleibt einer der ersten Anlaufstationen der
Flüchtlinge. Aus diesem Grunde muss öffentlich gemacht werden, was mit
diesen Menschen geschieht. Europa, Italien braucht Arbeitskräfte, vor
allem in der Landwirtschaft. Unlegalisierte Flüchtlinge kommen da
gerade recht – wenn sie die Fahrt denn überleben. Die Zivilgesellschaft
muss sich rühren, um den Flüchtlingen zu ihren Rechten zu verhelfen.
Der italienischen Politik, die ganz im Sinne der europäischen
Abschottungslinie handelt und mit Notstandsgesetzgebung alles zu
rechtfertigen sucht, muss endlich Einhalt geboten werden, um das
sinnlose Sterben an den Außengrenzen zu beenden.
Judith Gleitze, borderline-europe/borderline-sicilia, November 2008

 

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