Netzsperren: Österreich bietet Sarkozy die Stirn

[futurezone.orf.at] Im EU-Ministerrat haben sich Österreich und Dänemark dafür ausgesprochen, den Zusatz 138 des EU-Parlaments in die Universaldiensterichtlinie aufzunehmen. Doch die französische Ratspräsidentschaft fegte den Zusatz beiseite. Das Ringen um das Telekompaket wird sich nun mindestens bis April 2009 hinziehen.
Auf der Sitzung der EU-Telekommunikationsminister am Donnerstag in Brüssel sprachen sich die Delegationen aus Österreich und Dänemark in ihren Diskussionsbeiträgen ausdrücklich dafür aus, den Zusatz 138 des EU-Parlaments wieder in die Universaldiensterichtlinie des Telekompakets aufzunehmen.

Anlässlich der Pressekonferenz nach der öffentlichen Ministerratssitzung musste der Vorsitzende, der französische Wirtschaftsstaatssekretär Luc Chatel, allerdings zugeben, dass es der Zusatz nicht in das heute vom Rat verabschiedete Kompromisspapier geschafft hat. "Die überwältigende Mehrheit der Mitglieder unterstützt Zusatz 138 nicht", so Chatel auf die Frage einer Journalistin der französischen Wirtschaftszeitung "La Tribune".

Die französische Ratspräsidentschaft hatte Zusatz 138, der im September mit einer Mehrheit von 573 gegen 74 Stimmen angenommen worden war, ohne weitere Rechtfertigung aus ihrem Kompromisspapier gestrichen. Kein Wunder, würde doch der von der sozialdemokratischen französischen EU-Abgeordneten Catherine Trautmann eingebrachte Passus die Netzsperrenpläne der konservativen französischen Regierung und des Präsidenten Nicolas Sarkozy erschweren. Der Zusatz sieht nämlich vor, dass es ohne Zuziehung eines Richters "keine Restriktionen auf die Grundrechte der Endverbraucher" geben dürfe. Auch die EU-Kommission unterstützt Zusatz 138.
Kein Urheberrecht im Telekompaket

Außer der österreichischen und dänischen Delegation sprachen sich auch die Vertreter Bulgariens und Ungarns dafür aus, urheberrechtliche Fragen aus den weiteren Verhandlungen über das Telekompaket auszuklammern.

Die deutsche Delegation, die im Vorfeld versprochen hatte, sich gegen einen Passus in der E-Privacy-Richtlinie auszusprechen, der Telekoms erlaubt hätte, zu Sicherheitszwecken Verbindungsdaten zu sammeln, brachte das zwar zur Sprache, zeigte aber die Bereitschaft, ihre Bedenken um der schnellen Realisierung eines Kompromisses willen zurückzuziehen.
Bedenken zu datensammelnden Telekoms

Der Vertreter Bulgariens stellte dagegen mit Bestimmtheit fest, dass besagter Artikel 6a in der E-Privacy-Richtlinie zu vage sei und Vorwand für Missbrauch liefern könne. Bulgarien könne den aktuellen Kompromissvorschlag der Ratspräsidentschaft nicht akzeptieren. Laut Luc Chatel bleibt Artikel 6a im Vorschlag des Ministerrats erhalten.

EU-Medienkommissarin Viviane Reding bat die Minister darum, noch vor Weihnachten zu einem Kompromiss zu finden. Das Telekompaket solle noch in der aktuell laufenden Legislaturperiode des EU-Parlaments verabschiedet werden.
Kontrolle über Regulatoren

Einfach dürfte das nicht werden, denn die meisten EU-Mitgliedsstaaten haben noch Zweifel angemeldet. Italien etwa möchte gerne so weit wie nur möglich die Hoheit über das Management der Rundfunkfrequenzen haben und auch den nationalen Regulator schützen – und sieht sich dabei in guter Gesellschaft etwa der Spanier und der Deutschen.

Dass die nationalen Regulierer nach wie vor bei übergroßer Marktbeherrschung durch die Ex-Telekommonopolisten die Trennung zwischen Infrastruktur und Dienstleistungsbereich fordern können, wollten die meisten Redner nur als allerletzte Option bei Marktversagen festgeschrieben sehen. Hier musste die französische Ratspräsidentschaft im finalen Kompromisspapier Zugeständnisse machen und den Wortlaut weiter verschärfen

Die deutsche Delegation brachte eine Tischvorlage ein, nach der es den nationalen Regulatoren möglich sein soll, den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzwerken zu fördern. Auch dieser Vorschlag wurde von zahlreichen Ländern unterstützt, etwa von Polen und der Slowakei.
Machtspiele zwischen Rat und Kommission

Die Machtspiele zwischen Nationalstaaten und Kommission werden nun also in die nächste Runde gehen. Reding kündigte an, bereits am Freitag die Verhandlungen mit Parlament und Rat wieder aufzunehmen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ohne eine zweite Lesung im EU-Parlament auskommen wird", sagte der Wiener Jurist und Telekommunikationsrechtsexperte Hans Peter Lehofer auf Anfrage von ORF.at. "Vieles dabei ist auch nur symbolische Politik. Zusatz 138 ist auch nur eine Ergänzung zu den vielen Vorschriften, die die Regulierungsbehörden beachten müssen. Letztlich könnte dies Regelungen wie ‚Three Strikes Out‘ nicht verhindern. Es wäre nur ein Signal. Reding ist populistisch. Sie hat das nur hervorgehoben, um auf den Rat Druck zu machen. Der Kommission ist die Netzneutralität letztlich egal."

Letzlich habe die Kommission einen "sehr marktbasierten Zugang", so Lehofer. "Sie denkt so: Der Konsument muss wissen, was er kauft. Sie denkt, der Konsument werde nur jene Internet-Provider wählen, die ihn alle Dienste nutzen lassen. Dabei würden die Regelungen im Telekompaket durchaus auch Einschränkungen inhaltlicher Natur tragen. Eine verbindliche Erklärung von Frau Reding zur Netzneutralität ist nicht zu erwarten. Die Überlegungen hier sind ökonomisch gesteuert."
Reding: "Ehrgeizigere Pläne"

Dass das Telekompaket aber noch in der laufenden Legislaturperiode des EU-Parlaments verabschiedet werden wird, ist wahrscheinlich. Sowohl Reding als auch die meisten Delegierten im Ministerrat waren sich darüber einig, dass die Verhandlungen über das Paket schnell wieder aufgenommen werden müssten. Reding betonte aber auch, dass die Kommission "ehrgeizigere Pläne" habe als der Ministerrat. Sie halte an ihren Plänen fest. Wenigstens lägen jetzt drei verschiedene Texte auf dem Tisch. Es gilt jetzt, einen Ausgleich zwischen den Positionen der Kommission, des Rates und des Parlaments zu finden.

"Die Kommission hat aber auch schon mit dem Rückzug ihrer Pläne gedroht", so Lehofer. "Wenn das Telekompaket in den Vermittlungsausschuss kommt, dann hat sie nur noch wenig zu sagen. Aber alle brauchen den Erfolg vor der nächsten Europa-Wahl." Lehofer rechnet damit, dass das Richtlinienpaket im April 2009 zur zweiten Lesung ins EU-Parlament kommen wird.

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    * Telekompaket im EU-Ministerrat

(futurezone/Günter Hack)

Source: futurezone.orf.at