Die Mauern der Festung Europa werden höher

Auch Tschechien wird Abschottung und Überwachung fortsetzen


[neues-deutschland.de] Am Neujahrstag übernahm Tschechien die im
Sechsmonatsrhythmus rotierende EU-Ratspräsidentschaft von Frankreich.
Präsident Nicolas Sarkozy war am 1. Juli 2008 mit einem ambitionierten
Programm in selbige gestartet – auch im Bereich der europäischen
Innen- und Justizpolitik.

Sein Land könne nach Ablauf der Ratspräsidentschaft auch im nächsten
Jahr den Vorsitz der Eurogruppe der EU übernehmen, tönte Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy noch vor wenigen Wochen. Hintergrund des
»Angebots« ist nicht nur das fehlende Vertrauen der »Kerneuropastaaten«
in den EU-Neuling Tschechien, an dessen Spitze mit Vaclav Klaus ein
ausgewiesener Kritiker der Europäischen Union steht. Auch die Tatsache,
dass zentrale Programmvorhaben des französischen Ratsvorsitzes nicht
umgesetzt werden konnten, nervt Sarkozy. Ein Rückzug des Präsidenten in
die zweite Reihe Europas ist auch angesichts der guten Umfragewerte im
eigenen Land für seine EU-Präsidentschaft – im Gegensatz zur
französischen Innenpolitik – nicht zu erwarten.

Dabei waren aus Sicht der Befürworter einer Festung Europa die
Ausgangsbedingungen für die französische Ratspräsidentschaft nicht
schlecht. Schließlich hatte das Europäische Parlament im Juni die
skandalöse EU-Rückführungsrichtlinie angenommen.

Doch dann kamen das Nein der Iren zum Lissabonner Vertrag, der
militärische Konflikt zwischen Georgien und Russland, die Wirtschafts-
und Finanzkrise, der Krieg in Kongo und der Militärputsch in Guinea.
Zwar konnte Sarkozy napoleonisch auf hohem Ross von einem Konflikt zum
anderen eilen und, wenngleich oft ohne Mandat, brillieren. Seinen
ursprünglichen Vorhaben standen seine »Auslandseinsätze« jedoch im Wege.

Zuerst scheiterte Frankreich mit seinem exklusiven Klub der
Mittelmeerunion und musste sich in ein kollektives System der 27
EU-Mitgliedsstaaten begeben. Dann musste man eingestehen, dass trotz
des erfolgreichen Anschlusses der Schweiz an das Schengener
Informationssystem – eine grenzüberschreitende Datenbank für
Sicherheitsbehörden – die geplante (technische) Erweiterung des Systems
weiterhin von Pannen geplagt wird. Eine Einführung von SIS II ist vor
Ende 2009 nun nicht mehr zu erwarten, die Testphase musste abgebrochen
werden.

Dennoch nahm der europaweite Raum der Überwachung der Bürgerinnen
und Bürger auch unter Sarkozy weiter Formen an. Im Juli wurde ein
Bericht der sogenannten Zukunftsgruppe für ein innenpolitisches
Fünfjahresprogramm der EU vorgestellt. Hierin wird auf eine weitere
Verschränkung von Polizei und Geheimdiensten gedrungen, der
militarisierte Kampf gegen den internationalen Terrorismus gefordert,
die Abschottungspolitik der EU mittels Grenzschutzbehörde FRONTEX und
integriertem Grenzschutzsystem gefördert.

Neue Behörden wie die »Asylunterstützungsagentur« sollen den bereits
bestehenden zur Seite gestellt werden und politische Willensbekundungen
zur Abschottung der EU nach Süden und Osten manifestieren. Damit griff
der Fünfjahresplan dem im Oktober unter französischem Vorsitz
verabschiedeten Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl vor. Dieser
sieht ein einheitliches europäisches Asylsystem vor, das diesen Namen
aber kaum verdient. Künftig wird nach den Aufnahmekapazitäten der
nationalen Arbeitsmärkte über die Gewährung von Asyl entschieden. Und
so liest man nicht nur in dem Bericht der Zukunftsgruppe, sondern auch
im Fazit der französischen Ratspräsidentschaft wenig bis gar nichts
über die Stärkung von Grund- und Bürgerrechten, den Datenschutz oder
eine humane Flüchtlingspolitik. Vorerst gescheitert ist Frankreich
jedoch mit der Einführung eines europäischen Fluggastdatenabkommens und
der Vergemeinschaftung der Innen- und Justizpolitik der EU.

Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise, des (vorläufigen)
Scheiterns des Lissabonner Vertrags und der anstehenden Wahlen zum
Europäischen Parlament dürfte auch die tschechische Ratspräsidentschaft
kaum ihren Ansprüchen nach einem »Europa ohne Barrieren« gerecht werden
können. Alexandr Vondra, tschechischer Europaminister, spricht vor
diesem Hintergrund schon von einer defensiven Strategie für das erste
Halbjahr 2009. An der Tatsache, dass die EU versteckt hinter
bürokratischen Formeln wie »Interoperabilität«, Synergie und
Harmonisierung weiter an der Abschottung der EU und der Überwachung der
Bürgerinnen und Bürger arbeiten wird, darf indes kein Zweifel bestehen.
Klar ist, dass die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX massiv
gestärkt wird, Milliardenbeträge in die »Sicherheitsforschung«
investiert werden und die Zusammenlegung von außen- und
innenpolitischer Militarisierung vorangetrieben wird.

Von Dominic Heilig

Source: http://www.neues-deutschland.de