Neue Abhörzentrale in Köln


Helmut Lorscheid 

[heise.de] Das Bundesverwaltungsamt wird zum "Service- und Competence-Center TKÜ", der Bundesrechnungshof steht dem kritisch gegenüber
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mag es gerne ganz sicher.
Dazu gehören auch ganz große Ohren und Augen bei den
Sicherheitsdiensten. Nur schaffen die es nicht, dem technischen
Fortschritt in der Telekommunikation in der nötigen Schnelligkeit zu
begegnen. Wenn etwas nicht so richtig läuft, gründet man hierzulande
normalerweise einen Arbeitskreis, eine Kommission und, wenn es ganz
schlimm wird, eine neue Behörde. Es scheint ganz schlimm zu sein,
deshalb entsteht in Köln beim Bundesverwaltungsamt die technische
Abhörzentrale des Bundes. Das findet nicht nur der Bundesrechnungshof
komisch.

Mutation einer Verwaltungsbehörde

Das Bundesverwaltungsamt (BVA)
ist seiner Selbstdarstellung zufolge der "zentrale Dienstleister des
Bundes". Es nimmt mehr als 100 verschiedene Aufgaben wahr. Es ist
zuständig für so unterschiedliche Bereiche wie das
Ausländerzentralregister, das deutsche Auslandsschulwesen,
Beihilfe-Regelungen für Bundesbedienstete, Darlehensverwaltung und
-einzug nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), und es ist
beteiligt am Verfahren zur Verleihung der Zelter-und PRO-MUSICA-Plaketten
durch den Bundespräsidenten. Das BVA in Köln ist also eine Art
behördlicher Gemischtwarenladen, mit all dem betraut, wofür sich eine
eigene Behörde nicht lohnte, oder auch für Aufgaben, an denen andere
Behördenchefs nicht so richtig Lust hatten.

Ausgerechnet dieses Bundesverwaltungsamt wird seit einigen Monaten zu
einer Art "Bundesabhörzentrale" ausgebaut. In Beamtendeutsch heißt das
"Service- und Competence-Center TKÜ" (gemeint ist
Telekommunikationsüberwachung), das sich derzeit "im Probewirkbetrieb
befindet". Mit dieser Beamtenlyrik ist gemeint, es läuft so etwas wie
ein Probebetrieb, der eigentlich bis April abgeschlossen sein sollte.
Das hat nicht ganz geklappt und deshalb hofft man, im Juni so weit zu
sein.

Neuer Chef vom Verfassungsschutz

Seit 1. März dieses Jahres hat das BVA auch einen
neuen Vize-Chef, der zu den neuen Aufgaben passt. Der Mann heißt
Wolfgang Petersson und war zuvor Abteilungsleiter der Zentralabteilung
Z im Bundesamt für Verfassungsschutz. Diese Personalentscheidung des
Bundesinnenministers ist wohl kein reiner Zufall. Für Ulla Jelpke,
Innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linken, ist mit dieser
Personalie "ein deutliches Zeichen" gesetzt worden. Nachdem man
Entwicklung und Anwendung von Überwachungstechnologie im
Bundesverwaltungsamt zentralisiert habe, "hole man nun einen Fachmann",
erklärte sie gegenüber Telepolis.

Bündelung der Telekommunikationsüberwachung

Das Projekt, eine zentrale Abhöranlage des Bundes
einzurichten, wird bereits seit Mitte 2007 verfolgt. Die Umsetzung
dauert jedoch etwas und so wurde das Vorhaben erst bei einem der
sogenannten "Kamingespräche" anlässlich der Innenministerkonferenz vom
16.-18. April 2008 thematisiert. Dort nannte man es "Bündelung der
Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) im Geschäftsbereich des BMI durch
Einrichtung eines Service-Centers TKÜ und eines Competence-Centers
TKÜ".

Das Referat AG ÖS I 3 (Öffentliche Sicherheit) formulierte für dieses
Gespräch ein Argumentationspapier, das Telepolis vorliegt. Darin steht,
sowohl im Bereich der präventiven als auch im Bereich der repressiven
TKÜ seien "Defizite" zu beobachten. In Verbindung mit dem derzeit von
der Telekommunikationswirtschaft vorangetriebenen Aufbau
eines "Next-Generation Network" – quasi der Nachfolger des heutigen
Internets – würden sich "diese Defizite voraussichtlich verstärken".

Die Bevölkerungsüberwacher sehen für ihre weitere Tätigkeit gleich vier Problemfelder:

  1. Internationalisierung: Internetbenutzer
    können ihre TK-Dienste aus einem weltweiten Angebot von
    TK-Dienstleistern auswählen, die, falls von ausländischen Unternehmen
    angeboten, in der Regel nicht überwacht werden können.
  2. Anonymisierung: Im Internet werden sogenannte Anonymisierungsdienste angeboten. Damit wird die zur Interkommunikation genutzte Teilnehmeradresse (IP-Adresse) verschleiert.
  3. Kryptierung: Zum Schutz gegen
    unberechtigtes Mithören werden zu übertragende Inhalte verschlüsselt
    und können somit auch von den Sicherheitsbehörden nicht ausgewertet
    werden.
  4. Kompetenzen: Die eingesetzte TK-Technik
    wird komplizierter, die Entwicklungszyklen für TK-Dienste werden kürzer
    und die im Internet übertragenen Datenvolumen nehmen zu. Mit der
    bisherigen Verteilung der Haushaltsmittel und "klugen Köpfe" auf eine
    Vielzahl berechtigter Stellen kann der steigenden Technikkomplexität
    nicht mehr ausreichend begegnet werden.

Ins Normaldeutsch übersetzt heißt das: Der Staat hat so vielen Behörden
eine Berechtigung zum Abhören übertragen, dass es richtig teuer wird
und zudem nicht genügend Fachpersonal (kluge Köpfe) zur Verfügung
steht. Denn abhören dürfen mittlerweile neben dem BND (offiziell nur im
Ausland) und dem MAD im Zusammenhang mit der Bundeswehr auch das
Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 entsprechenden Landesämter
sowie das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei (BPOL), Landespolizeien
und das Zollkriminalamt in Köln. Hinzu kommt die Erlaubnis zur
Überwachung der Geldflüsse durch die Finanzaufsichtsbehörden.

Deshalb wird im Kölner Bundesverwaltungsamt das
"SC-TKÜ aufgebaut – für "die effiziente Bereitstellung der TKÜ-Technik
von BKA, BPOL (Bundespolizei) und Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV)". Doch langfristig will Schäubles Ministerium noch mehr, denn in
der Vorlage des BMI steht auch: "Letztlich prüft das BMI auch, ob nicht
das Modell der amerikanischen National Security Agency (NSA) oder des
britischen Government Communication Headquarter (GCHQ) als Vorbild auf
Deutschland übertragen werden könnte."

Gegenüber dem Bundestag argumentierte das BMI mit vermeintlichen
Kosteneinsparungen, die mit diesem zentralen Abhörzentrum in Köln bei
den Geheimdiensten, dem BKA und der Bundespolizei erreicht würden. Eine
Einschätzung, die der Bundesrechnungshof
bezweifelt. "Vertraulich" und "nur für den Dienstgebrauch" teilte der
Bundesrechnungshof dem Vorsitzenden des Vertrauensgremiums des
Deutschen Bundestages, CarstenSchneider,
mit, was er von Schäubles "Neuorganisation der
Telekommunikationsüberwachung" hält. Nämlich nicht viel, er hält es für
eine Schnapsidee, nur wird es im Schreiben vom 18.9.2008 etwas anders
formuliert:

 

Ein CC-TKÜ (Competenz-Center), als Plattform für eine
innovative Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf dem Gebiet der
TKÜ, ist aus Sicht des Bundesrechnungshofes sinnvoll. Es ist für ihn
jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb das BMI diese Aufgabe dem BVA zu
übertragen beabsichtigt, das nicht über praktische bzw. fachliche
Erfahrungen im Bereich der TKÜ verfügt…

 

Bundesrechnungshof

 

Damit nicht genug, die Rechnungsprüfer haben sich
auch mit der Frage befasst, in welcher Weise bei einer Tätigkeit für
Polizei und Verfassungsschutz das Trennungsgebot unterlaufen würde.
Dazu heißt es in der Stellungnahme:

Der Bundesrechnungshof hat den TKÜ-Prozess in den
Sicherheitsbehörden vor Ort analysiert und eine enge Verknüpfung
zwischen Fachlichkeit und Technik festgestellt.

Insbesondere bei der Fehlersuche war es für die
Administratoren der Anlagen erforderlich, sich sowohl in laufende
TKÜ-Maßnahmen einschalten zu können, sprich mitzuhören, als auch
mögliche Fehler an der Hardware oder bei den Netzbetreibern
festzustellen. Durch die Auslagerung der Technik in das BVA erhöht sich
die Zahl der Schnittstellen. Hierdurch und aufgrund der Tatsache, dass
das BVA nicht berechtigt ist, sich fachlich in den TKÜ-Prozess
einzuschalten ergeben sich Verschlechterungen im Prozessfluss. (…)

Aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, empfiehlt
der Bundesrechnungshof die Bündelung der TKÜ im BVA zu überdenken und
alternative Lösungen in die Überlegungen einzubeziehen.(…) Denkbar
wäre eine Bündelung der Polizeien in einem Rechenzentrum bei BKA oder
BPOL (Bundespolizei) und die Einrichtung eines Rechenzentrums im BfV
(Verfassungsschutz), die auch der Kooperation mit den weiteren Diensten
des Bundes und der Länder offen stehen könnte…
Bundesrechnungshof

 

Gleichgültigkeit bei der SPD – Ablehnung durch FDP, Grüne und Linke

Für den SPD-Abgeordneten Frank Hofmann,
selbst BKA-Beamter a.D., spielt es "keine Rolle", wo die Technik steht
– ob beim BKA oder in Köln im Bundesverwaltungsamt. Deshalb hat er, wie
auch seine SPD-Fraktion, nichts gegen dieses Schäuble-Projekt
einzuwenden. Anders sieht das die Opposition. WolfgangWieland von B90/Die Grünen fragte
im Mai letzten Jahres den Staatssekretär im Bundesinnenministerium nach
der Aufrechterhaltung des Trennungsgebots zwischen Polizei und
Nachrichtendiensten.

Wieland nahm Bezug auf ein Schreiben des Bundesinnenministers an die
Innenministerkonferenz, in dem es heißt, "ein Vorteil des Ganzen sei,
dass das TKÜ-Fachpersonal dadurch eine räumlich und organisatorisch
enge Zusammenarbeit habe. Wenn also das Personal vor Ort eng
zusammenarbeitet, wie wollen Sie dann verhindern, dass bei dieser
Gelegenheit auch über den Inhalt der Tätigkeit, über das, was dieses
Personal in Erfahrung bringt, geredet wird, dass man sich darüber
austauscht?"

Christoph Bergner,
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern (CDU),
beteuerte, es gehe "nicht um Datenaustausch, und es geht auch nicht
darum, die organisatorische Trennung der Ermittlungsbehörden in
irgendeiner Weise aufzuheben". Für die FDP-Innenpolitikerin GiselaPiltz
ist die Telekommunikationsüberwachung bei Ermittlungsverfahren am
besten in den Händen der ermittelnden Sicherheitsbehörden aufgehoben.
Die Zentralisierung der Telekommunikationsüberwachung, nicht nur über
föderale Ebenen hinweg, sondern auch über die Trennung von Polizei und
Nachrichtendiensten hinweg, sei "ein Schritt hin zur Aufhebung des
Trennungsgebots." Ulla Jelpke, MdB (Die Linke) sieht die Schaffung der
Überwachungszentrale "vor allem im Kontext einer Zentralisierung von
Sicherheitsaufgaben beim Bund. "Das Bundeskriminalamt (BKA) steht für
eine Zentralisierung auf der operativen Ebene. Die Abhörzentrale steht
für eine Zentralisierung auf der technologischen Ebene."

Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30271/1.html