Verfassungsrechtler hält automatische Kennzeichenerfassung für grundgesetzwidrig

[heise.de] Sieben der acht bestehenden Ländergesetze zur automatischen Erfassung
von Autokennzeichen seien verfassungswidrig – zu diesem Ergebnis kommt
der an der Uni Kassel lehrende Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel in einem Gutachten im Auftrag des ADAC. Der Automobilclub hatte schon während der Gesetzgebungsverfahren diese Art des Datensammelns scharf kritisiert. Von den in den Bundesländern Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein
inzwischen geltenden Regelungen seien lediglich die entsprechenden
Paragraphen im brandenburgischen Polizeigesetz "weitgehend
verfassungskonform", heißt es in dem Gutachten. Die Vereinbarkeit jedes
dieser Gesetze mit dem Grundgesetz hänge maßgeblich davon ab, in
welchem Umfang es in das Grundrecht der Bürger auf informationelle
Selbstbestimmung eingreife und wie die automatischen Datenerhebungen
jeweils gerechtfertigt würden.

Das gut hundertseitige Gutachten, das der Redaktion von heise Autos vorliegt,
kommt zu dem Schluss, dass alle acht Polizeigesetze "mehr oder weniger
große Defizite in der Verhältnismäßigkeit" der Grundrechtseingriffe
aufweisen – dies gelte insbesondere für Fälle, in denen die Polizei die
Kennzeichen verdeckt scanne.

Am besten kommt noch das brandenburgische Polizeigesetz weg: Diesem
zufolge dürfen die Ordnungshüter nur unter bestimmten, klar umrissenen
Voraussetzungen Kennzeichen filmen – nämlich zur Abwehr einer
"gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben" oder in solchen Fällen, in
denen die Polizei auch berechtigt wäre, Straßenkontrollen
durchzuführen. Doch fehle auch hier eine Regelung, die verdeckte
Kennzeichen-Kontrollen auf genau definierte Ausnahmefälle beschränke.

Am schlechtesten schneidet aus Gutachtersicht in dem Gutachten das
hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) ab – obwohl oder gerade weil es mit über einer Million
in diesem Bundesland gescannter Kennzeichen aus Sicht seiner
Befürworter ein großer Erfolg ist. Doch erfülle es "in keiner Weise die
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit" und Klarheit
eines Grundrechtseingriffs, der im HSOG zudem unverhältnismäßig groß
sei, lautet das Verdikt des Roßnagel-Gutachtens für den ADAC.

Schelte gibt es auch für die rheinland-pfälzische Regelung, die die
Speicherung auch von "Nicht-Treffer-Daten" über zwei Monate hinweg
erlaubt und deren Nutzung für allgemeine Polizeiaufgaben ermöglicht.
Datenschützer können jedoch hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht,
das für Ende März eine Entscheidung zum Autonummern-Scanning in
Aussicht gestellt hat, etliche der Ländergesetze schon aus formalen
Gründen kippt: Dem Gutachten zufolge haben viele Länder gegen die
konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ("Bundesrecht
bricht Landesrecht") gemäß Artikel 74 des Grundgesetzes verstoßen.
(ssu/c’t)

Source: http://www.heise.de/newsticker/meldung/102657/from/atom10