BKA-Chef zu Online-Durchsuchungen: „Der erste Fall kommt bestimmt und bald“

Online-Durchsuchungen
hat das Verfassungsgericht nur unter strengsten Auflagen erlaubt. Im
SPIEGEL-ONLINE-Interview skizziert BKA-Chef Jörg Ziercke mögliche
Szenarien für die PC-Schnüffelei und fordert ein schnelles Ende der
Debatte.

SPIEGEL ONLINE: Nach langem Streit -at das Verfassungsgericht
nun über die Online Durchsuchung entschieden, sie aber sehr
eingeschränkt. Sehen Sie das Urteil als Erfolg oder als Niederlage?

Ziercke: Ich begrüße die Entscheidung. Den
Strafverfolgungsbehörden wird das Instrument zugestanden, das sie seit
langem gefordert haben. Das Urteil ist eine Anpassung der
Fahndungstechnik an das Zeitalter des Internets.

Nun sind wir gefordert, sensibel zu agieren und genau abzuwägen,
ob die Maßnahme geeignet und verhältnismäßig ist. In der Öffentlichkeit
ist der Eindruck entstanden, dass es eine massenhafte Ausforschung von
Computern der Bürger geben soll. Eine Schleppnetzfahndung oder
vergleichbares wollten wir jedoch nie. Die Online-Durchsuchung wird in
wenigen, sehr gewichtigen Fällen zum Einsatz kommen. Ich rechne mit 10,
maximal 15 Maßnahmen pro Jahr, vielleicht werden es auch weniger.

SPIEGEL ONLINE: Das Gericht hat hohe Hürden aufgestellt – vor allem muss es eine konkrete Gefährdung geben.

Ziercke: Den Begriff der konkreten Gefahr kennen wir aus den
Polizeigesetzen der Länder. Er besagt, dass die erkennbare, objektiv
nicht entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts bestehen muss. Er
besagt nicht, dass der Eintritt der Gefahr unmittelbar bevorstehen
muss. An dieser Stelle sehe ich die Strafverfolgungsbehörden
beispielsweise bei Hinweisen auf geplante terroristische Anschläge
nicht in Begründungsnot.

SPIEGEL ONLINE: Wie konkret muss ein solcher Verdacht aussehen?

Ziercke: Denken sie an ein Szenario eines in Deutschland
lebenden Islamisten, der in seinem abgeschotteten Umfeld über Anschläge
redet, konspirativ Sprengstoff beschafft oder Anschlagsziele
auskundschaftet …

SPIEGEL ONLINE: … also zum Beispiel Fritz Gelowicz und die Sauerland-Zelle, die im September aufflog.

Ziercke: Der Fall der Sauerland-Gruppe hätte sich aus meiner
Sicht für eine Online-Durchsuchung geeignet. Es wurden Chemikalien
gehortet, die zum Bau einer Bombe geeignet waren. Niemand kann das
Vorliegen einer konkreten Gefahr anzweifeln. Die Kommunikation der
Tatverdächtigen erfolgte hochkonspirativ, oftmals durch den
gegenseitigen Zugriff auf E-Mails im Entwurfsstadium. Genau die auf
diesem Wege ausgetauschten Informationen hätten uns helfen können, das
bestehende Netzwerk schneller aufzuhellen.

Insgesamt müssen wir immer abwägen, welche Maßnahme im Einzelfall
geeignet und verhältnismäßig ist – eine Observation, eine
Telefonüberwachung, eine Wohnraumüberwachung oder eben die
Online-Durchsuchung. Klar ist, dass der Zugriff auf den Rechner die
Ultima Ratio bleiben wird.

 

SPIEGEL ONLINE: Die Online-Durchsuchung wird also die Königsdisziplin der Terror-Fahnder?

Ziercke: Die Online-Durchsuchung wird den Instrumentenkasten der
Strafverfolgungsbehörden im Zeitalter von PC und Internet sinnvoll
ergänzen. Wenn der Verdächtige aber keinen Computer benutzt, kommen
andere Maßnahmen zur Anwendung. Die Online-Durchsuchung ermöglicht den
Strafverfolgungsbehörden eine adäquate Reaktion auf das weltweit
veränderte Kommunikations-, Interaktions- und
Datenspeicherungsverhalten von Schwerstkriminellen.

SPIEGEL ONLINE: Die beiden bekannten Fälle von
Online-Durchsuchungen wurden gegen den Berliner Islamisten Reda S., der
gute internationale Kontakte in die Dschiahd-Szene unterhält, und einen
Iraner geführt, der der Proliferation verdächtigt wurde. Keine der
beiden Fälle entspricht einer direkten Gefährdung, die das Gericht nun
als Voraussetzung nennt.

Ziercke: Das Bundeskriminalamt hat bislang keine
Online-Durchsuchung durchgeführt. Das Bundesverfassungsgericht fordert
das Vorliegen einer konkreten Gefahr für herausragende Rechtsgüter wie
Leib, Leben, Freiheit. An diese Vorgaben werden wir uns halten.

SPIEGEL ONLINE: Das Gericht definiert nicht genau, wie weit im Vorfeld Sie tätig werden dürfen. Ab wann dürfen Sie zugreifen?

Ziercke: Das Bundesverfassungsgericht hat als Voraussetzung das
Vorliegen einer konkreten Gefahr für herausragende Rechtsgüter
definiert. Wann eine solche Gefahr vorliegt, wird im Einzelfall zu
entscheiden sein. Ein denkbares Szenario sind Absprachen zwischen
Verdächtigen über Anschlagsplanungen. Das Gericht hat ja klar gemacht,
dass der Eintritt der Gefahr nicht unmittelbar bevorstehen muss.

SPIEGEL ONLINE: Kompliziert wird der Vorgang der
Online-Durchsuchung auch durch die verordnete Trennung von privaten und
strafrelevanten Daten, die am Ende ein Richter durchführen muss. Sitzt
der am Ende vor den Tausenden Dateien einer ganzen Festplatte, wird
seine Prüfung eine Weile dauern.

Ziercke: Auch heute obliegt die Durchsicht von bei
Durchsuchungen aufgefundenen Papieren bereits der Justiz. Mit Blick auf
die zukünftig anfallenden Computer-Daten ist die Justiz vor eine neue
Herausforderung gestellt. In diesem Zusammenhang könnten sich
Kapazitätsprobleme ergeben.

SPIEGEL ONLINE: In den letzten Monaten ist viel über die
Online-Durchsuchung diskutiert worden. Dabei entstand der Eindruck, mit
einfachsten Mitteln könne man sich der Maßnahme entziehen. Bringt es
danach überhaupt noch etwas, oder sind die Terroristen schon zu gut
vorbereitet?

Ziercke: Natürlich war die Diskussion über technische Details
für uns nicht optimal, allerdings blieb ja vieles im Bereich der
Spekulation. Im Übrigen zeigen andere Beispiele wie das der
Telefonüberwachung, dass das Wissen um die Möglichkeit einer Maßnahme
Straftäter nicht zwingend klüger macht. Telefone hören wir seit
Jahrzehnten ab – trotzdem verraten sich noch viele Kriminelle durch
ihre Gespräche. Allein 70 Prozent der Straftaten aus dem Bereich der
Organisierten Kriminalität werden mit Hilfe von Erkenntnissen aus der
Telefonüberwachung aufgeklärt.

Klar ist, dass die öffentliche Debatte über die Online-Durchsuchung und deren Technik jetzt ein Ende haben muss.

SPIEGEL ONLINE: Kann das BKA sofort loslegen, wenn es ein Gesetz gibt?

Ziercke: Einerseits arbeiten wir an eigenen Programmen.
Andererseits gibt es kommerzielle Produkte, die genutzt werden könnten.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer gesetzlichen Regelung werden wir
über eine einsatzfähige Software verfügen.

SPIEGEL ONLINE: Hat das BKA schon einen Fall im Auge, der sich für die erste Online-Durchsuchung eignen würde?

Ziercke: Einen konkreten Fall haben wir derzeit nicht. Ich fürchte aber, der nächste Fall kommt bestimmt und bald.

Das Interview führte Matthias Gebauer.

Source: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,538727,00.html