Empire Europa: Das militärische Fundament der Wirtschaftsmacht EU

[imi-online.de] Die
Europäische Union ist derzeit dabei, sich grundlegend zu verändern.
Beleg hierfür sind etwa die Aussagen von EU-Erweiterungskommissar Olli
Rehn, der die Union als ein „gutmütiges Imperium“"[1] bezeichnet oder
von Kommissionschef José Manuel Barroso, der in ihr ebenfalls „eine Art
Imperium“ sieht.[2] Die Zeit falscher Bescheidenheit ist vorbei,
offensiv formulieren die Verantwortlichen in der EU und den
Mitgliedsstaaten inzwischen den Anspruch, in den Kreis der Großmächte
aufsteigen zu wollen.
Die im Jahr 2000 veröffentlichte
Lissabon-Strategie mit ihrer Zielvorgabe, innerhalb von zehn Jahren
zur Weltwirtschaftsmacht Nummer eins aufzusteigen, stellt in diesem
Zusammenhang die wirtschaftliche Komponente der „Supermacht EU“ dar.
Erreicht werden soll dieses ehrgeizige Ziel einerseits durch einen
neoliberalen Umbau innerhalb der Mitgliedstaaten – in Deutschland etwa
mit der Agenda 2010 und dem damit einhergehenden massivem Sozialabbau –
sowie durch die Durchsetzung der eigenen Liberalisierungsagenda nach
Außen.Nicht von ungefähr wurde nahezu parallel mit einem umfassenden
Programm zur Militarisierung der Europäischen Union begonnen, um dem
ökonomischen Weltmachtanspruch ein militärisches Fundament zu
verschaffen. Dieser Beitrag zeichnet die wichtigsten Stationen,
Dokumente und Komponenten dieser Entwicklung nach und analysiert sie im
Kontext einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(ESVP), die immer offener auf die Durchsetzung eigener Machtansprüche
abzielt. Im Kern geht es dabei inhaltlich um drei Dinge: Einfluss im
Weltmaßstab – auch gegen die USA; Rohstoffkontrolle; und die
militärische Absicherung der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung.

 

1. Stationen und Komponenten der Militarisierung Europas

Obwohl
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bereits Anfang der
1990er mit dem Vertrag von Maastricht als eine der drei zentralen
Säulen der Europäischen Union eingeführt wurde, führte sie lange Jahre
eher ein Schattendasein. Erst das französisch-britische Treffen in St.
Malo Ende 1998 ebnete grundsätzlich den Weg für eine Militarisierung
der Europäischen Union. Schon im Juni des darauf folgenden Jahres
beschlossen die Staats- und Regierungschefs, eine EU-Eingreiftruppe
aufzustellen. Mit der Verabschiedung des „European Headline Goal“ durch
Beschluss des Europäischen Rates nach Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 23
Abs. 1 EUV im Dezember 1999[3] wurde der Umfang dieser Truppe auf
60.000 Soldaten festgelegt, von denen Deutschland ca. ein Drittel
stellt.

Berücksichtigt man die für ein solches Kontingent
notwendige Rotation, müssen je nach Schätzung 150.000 bis 180.000
Soldaten vorgehalten werden. Interessant ist der Aktionsradius, der
inzwischen für einsatzbereit erklärten Truppe. Er wurde zunächst auf
4.000 Kilometer rund um Brüssel festgelegt, was in seiner
weltumspannenden Reichweite bereits indiziert, dass es hier um die
Etablierung einer global agierenden Interventionsarmee zur Durchsetzung
europäischer Interessen geht.Auf der Tagung des Europäischen Rates im
Dezember 2000 in Nizza wurden auf der Grundlage der Art. 11 ff. EUV mit
dem Beschluss zur Einsetzung eines Militärausschusses (EUMC), eines
Militärstabes (EUMS) und eines ständigen Politischen und
Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) auch die organisatorischen
Rahmenbedingungen für offensiv ausgerichtete EU-Truppen geschaffen.

Derart
aufgestellt wurde das neue militärische Selbstverständnis rasch Praxis:
Die ersten ESVP-Einsätze, "Concordia" in Mazedonien und "Artemis" im
Kongo, fanden bereits im Jahr 2003 statt. Letzterer ist aus zwei
Gründen interessant: Einmal liegt das Einsatzgebiet deutlich weiter als
4.000 Kilometer von Brüssel entfernt, womit auch diese räumlich ohnehin
schon sehr weit gefasste Einschränkung endgültig ad acta gelegt wurde.
Zudem agierte die EU im Kongo erstmalig ohne Rückgriff auf
NATO-Strukturen und damit unabhängig von den USA, indem Frankreich die
operative Führung übernahm. Im Dezember 2004 übernahm die Europäische
Union die NATO-Mission in Bosnien-Herzegowina. Dieser "Althea" genannte
Einsatz umfasst 7.000 Soldaten, bereits diese Zahl manifestiert, die
zunehmende Bedeutung der EU-Streitkräfte. Seither kommen immer häufiger
weitere Einsätze hinzu, mittlerweile fanden über 20 Missionen im Rahmen
der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik statt.[4]

Im
Juni 2004 wurde darüber hinaus eine neue militärische Zielvorgabe, das
„Headline Goal 2010“, vom Europäischen Rat beschlossen, die u.a. den
Aufbau von EU-Kampftruppen (sog. Battlegroups) vorsieht. Diese 1.500
Soldaten umfassenden, hochflexiblen Kampfeinheiten sollen innerhalb von
5 bis 30 Tagen vor Ort stationiert werden können. Seit Januar 2007
stehen die ersten der insgesamt 22 bislang geplanten Kampfeinheiten zur
Verfügung, die im Übrigen auch explizit ohne UN-Mandat eingesetzt
werden können.[5]

Ebenfalls
seit 2007 verfügt die EU auch über eine so genannte Zivil-militärische
Zelle zur Planung und Durchführung von Einsätzen im Umfang von bis zu
2.000 Soldaten (zuvor war man entweder auf nationale Kapazitäten oder
auf die NATO und damit auf die USA angewiesen). Sie bildet den Nukleus
für ein voll funktionsfähiges Hauptquartier, mit dem sich die
Europäische Union künftig weiter von den USA emanzipieren, also
unabhängiger machen will.


2. Globalmacht Europa

Einen
"Meilenstein" (so Fraser Cameron, ehemaliger Berater der Europäischen
Kommission und derzeit Direktor des EU-Russia Centre in Brüssel)) für
die Fortentwicklung der europäischen Militärkomponente stellte die im
Dezember 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie (ESS)
dar. Mit ihr erhebt die Europäische Union unmissverständlich den
Anspruch, im Konzert der Supermächte eine führende Rolle zu spielen:
„Als Zusammenschluss von 25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern,
die ein Viertel des Bruttosozialprodukts (BSP) weltweit erwirtschaften,
ist die Europäische Union […] zwangsläufig ein globaler Akteur. […]
Europa muss daher bereit sein, Verantwortung für die globale Sicherheit
und für eine bessere Welt mit zu tragen.“[6]

Gleichzeitig
identifiziert die EU-Sicherheitsstrategie eine Reihe von Bedrohungen,
gegen die frühzeitig militärisch vorgegangen werden müsse: „Die erste
Verteidigungslinie wird oftmals im Ausland liegen. […] Wir müssen
eine Strategiekultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn
nötig robustes Eingreifen fördert.“[7] Damit übernimmt die ESS indirekt
die US-amerikanische Präventivkriegsstrategie, wobei sie als eine
wesentliche Bedrohung u.a. die zunehmende Abhängigkeit von
Rohstoffimporten benennt

Schon
dieser kurze Überblick zeigt, wie weit die Militarisierung Europas
bereits fortgeschritten ist. Mit dem Lissabonner Vertrag soll sie
jedoch entscheidend weiter vorangetrieben werden


3. Militarisierung per Vertrag

Ursprünglich,
d.h. vor der Ablehnung im irischen Referendum, sollte der „Lissabonner
Vertrag“ bis spätestens Sommer 2009 als neue Rechtsgrundlage der Union
in Kraft treten.[8] Obwohl bereits sein Vorgänger, der
EU-Verfassungsvertrag, bei Referenden in Frankreich und den
Niederlanden im Jahr 2005 abgelehnt wurde, gelang es den
EU-Regierungen, alle wesentlichen Punkte in den Vertrag von Lissabon
hinüberzuretten, wie eine Presseerklärung der Bundesregierung
unumwunden einräumt: „Der Begriff ‚Verfassung für Europa‘ war nach der
Ablehnung bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden
nicht mehr haltbar. Das erklärte Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft
war es aber, die Substanz der Verfassung zu erhalten. Dies konnte
erreicht werden.“[9]

Diese
Substanz besteht neben dem schon in den Gründungsverträgen
festgeschriebenen neoliberalen Wirtschaftsmodell insbesondere in den
neuen Regelungen im Militärbereich. So wird mit dem Lissabonner
Vertrag das mögliche Aufgabenspektrum für EU-Kampfeinsätze
substanziell erweitert. In Artikel 43 (1) werden hierfür u.a. „die
Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in
ihrem Hoheitsgebiet“, „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung“,
„Operationen zur Stabilisierung der Lage“, also Besatzungsmissionen wie
in Afghanistan und sogar „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“ benannt, eine
Formulierung, die verdächtig an die US-amerikanische Begründung für den
Angriffskrieg gegen den Irak erinnert.

Extrem
weit reichend ist auch die so genannte „Solidaritätsklausel“ in Artikel
222 (1a), mit dem der Lissabonner Vertrag festschreibt, dass die EU
„"alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von
den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel"“
mobilisiert, um „"terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von
Mitgliedstaaten abzuwenden."“ Mit diesem Artikel wird die Europäische
Union nicht nur zu einem Militärbündnis, er eröffnet zudem auch noch
die Option zum Einsatz von EU-Militär im Inneren. Dies ist überaus
problematisch, da die EU-Justizminister bereits im Dezember 2001 eine
Rahmenerklärung verabschiedeten, in der es heißt, Terrorismus beinhalte
auch Aktivitäten, die in der Absicht erfolgen, „öffentliche
Körperschaften oder eine internationale Organisation unangemessenem
Zwang auszusetzen, damit sie bestimmte Handlungen unternehmen oder
unterlassen.“[10] Interessant in diesem Kontext, dass die viel gerühmte
Grundrechtecharta offensichtlich die gezielte Tötung zur
Aufstandsbekämpfung legitimiert: "Eine Tötung wird nicht als Verletzung
dieses Artikels [Art. 2. Abs. 1: Recht auf Leben, T.P.] betrachtet,
wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt
erforderlich ist, um […] einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig
niederzuschlagen."[11]

Des
Weiteren wird der Lissabonner Vertrag einen regelrechten Rüstungsschub
ermöglichen. Denn mit Artikel 41 wird erstmals die Möglichkeit zur
Aufstellung eines EU-Rüstungshaushalts, euphemistisch „"Anschubfonds"“
genannt, eröffnet, was bislang durch den noch gültigen Vertrag von
Nizza untersagt ist. Darüber hinaus schreibt Artikel 42 (3) den
Mitgliedsstaaten in bislang einzigartiger Weise vor, militärisch
aufzurüsten: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen
Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ Um die Einhaltung dieser
Verpflichtung zu kontrollieren, wurde bereits im Juni 2004 die
„Europäischen Verteidigungsagentur“ ins Leben gerufen. Dass dieses
Organ in einem frühen Entwurf der EU-Verfassung noch explizit als
„Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“
bezeichnet wurde, macht ihre eigentliche Zielsetzung ebenso deutlich,
wie frühe Versuche, in die Aufrüstungsverpflichtung eine bindende
Zielgröße von 2% des Bruttoinlandsprodukts für Rüstungsausgaben
aufzunehmen. Dies hätte für Deutschland eine Steigerung um etwa 30% zur
Folge gehabt.

Besonders
besorgniserregend ist, dass hinsichtlich der Entsendung von
EU-Kampftruppen die Gewaltenteilung auf EU-Ebene faktisch außer Kraft
gesetzt ist. So spricht Artikel 275 dem Europäischen Gerichtshof
keinerlei Kontrollbefugnisse bzgl. der EU-Militärpolitik zu. Auch das
Europäische Parlament ist nicht zuständig, es wird gemäß Artikel 36
lediglich regelmäßig darüber „"unterrichtet"“, was die Exekutive in
diesem Bereich unternimmt. Das Parlament darf zwar "Anfragen oder
Empfehlungen an den Rat und den Hohen Vertreter richten, zu entscheiden
hat es aber nichts. Ohnehin stellt sich die Frage, wie die kurze
Einsatzzeit der Battle Groups (5 bis 30 Tage) mit dem deutschen
Parlamentsvorbehalt[12] zu vereinbaren ist. Die damalige britische
Ratspräsidentschaft antwortete dem Autor auf diese Frage im
Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments,
die deutschen Kollegen hätten angemerkt, dass eine Zustimmung des
Bundestages unter Umständen auch im Nachhinein möglich sei. In dieses
Bild passt, dass der parlamentarische Staatssekretär im
Verteidigungsministerium Christian Schmidt (CSU) Vorratsbeschlüsse für
EU Battle Groups und NATO Response Force fordert.[13]

Genau
dies hat die im Mai 2008 veröffentlichte „"Sicherheitsstrategie für
Deutschland"“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun auch offiziell
vorgeschlagen.[14] Diese drastische Einschränkung demokratischer
Kontrollmöglichkeiten bei einer solch entscheidenden Frage ist nicht
hinnehmbar, da sie zur Folge hat, dass die Exekutive das EU-Militär
nahezu beliebig einsetzen kann. Nachdem bereits das Europäische
Parlament über keinerlei Mitentscheidungsrechte hinsichtlich der Frage
von EU-Militäreinsätzen verfügt, soll mit der „Sicherheitsstrategie für
Deutschland“ nun auch die Hoheit des Deutschen Bundestages ausgehebelt
und somit die formale Gewaltenteilung in der entscheidenden Frage von
Krieg und Frieden de facto aufgehoben werden.


4. Kerneuropakonzept konkret

Neben
der forcierten Militarisierung soll der Lissabonner Vertrag vor allem
eine massive Machtverschiebung zugunsten der mächtigen,
bevölkerungsreichen EU-Länder bewerkstelligen. Hierfür sind zwei
Elemente entscheidend. Einmal ermöglicht Artikel 46 die Einführung
einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“, mit der einzelne
Mitgliedsstaaten ganz im Sinne des Kerneuropa-Prinzips Exklusivgruppen
im militärischen Bereich bilden können. Da sich dabei das
Einstimmigkeitsprinzip „allein auf die Stimmen der Vertreter der an der
Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten“ bezieht, wird hierdurch
die bislang geltende Konsenspflicht im Militärbereich ausgehebelt.
Zudem regelt Protokoll 10, dass nur die Mitgliedsländer an der
„Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ teilnehmen dürfen, die sich
an den wichtigsten EU-Rüstungsprojekten beteiligen und Battle Groups
bereitstellen.

Schließlich
wird mit dem Vertrag von Lissabon die Stimmverteilung im wichtigsten
EU-Gremium, dem Rat der Staats- und Regierungschefs, massiv zugunsten
der Großmächte verschoben. Von der neuen Regelung profitieren vor allem
die bevölkerungsreichsten Staaten, allen voran Deutschland, das
hierdurch seinen Stimmanteil von 8,4% auf 16,73% nahezu verdoppelt.
Aber auch Frankreich, Großbritannien und Italien zählen zu den
Gewinnern. Die Tragweite dieser Machtverschiebung nach in Kraft treten
des Lissabonner Vertrags ist kaum zu überschätzen: „Die Union [wird]
danach eine andere werden. Die Mitgliedstaaten verlieren weiter an
Souveränität, die großen Länder werden auf Kosten der kleinen gestärkt
und die Zentralisierung ihrer Entscheidungsstrukturen wird die EU noch
undemokratischer machen. Sie droht ihren Charakter als
Aushandlungsgemeinschaft zu verlieren und eine feste Hegemonialordnung
von Metropole und Peripherie zu werden.“[15] Dies bedeutet nichts
anderes als das altbekannte Kerneuropakonzept, nur diesmal konkret
umgesetzt.


5. Militärische Rohstoffsicherung

Aufgrund
der schwindenden Weltölvorkommen bei gleichzeitig rapide wachsender
Nachfrage, rückt die militärische Energiesicherung nicht nur in den
USA, sondern auch innerhalb der Europäischen Union immer stärker in den
Mittelpunkt der Strategieplanung. Im European Defence Paper, dem
Entwurf für ein EU-Militär-Weißbuch, werden Rohstoffkriege bereits
unverblümt ins Auge gefasst: "Künftige regionale Kriege könnten
europäische Interessen tangieren […], indem Sicherheit und Wohlstand
direkt bedroht werden. Z.B. durch die Unterbrechung der Ölversorgung
und/ oder einer massiven Erhöhung der Energiekosten, [oder] der
Störung der Handels- und Warenströme." Konkret wird daraufhin folgendes
Szenario beschrieben: "In einem Land x, das an den indischen Ozean
grenzt, haben antiwestliche Kräfte die Macht erlangt und benutzen Öl
als Waffe, vertreiben Westler und greifen westliche Interessen an."
Ziel sei es in diesem Fall, "das besetzte Gebiet zu befreien und die
Kontrolle über einige der Ölinstallationen, Pipelines und Häfen des
Landes x zu erhalten."[16]


6. Die Militärische Absicherung der Globalisierung

Obwohl
die kapitalistische Globalisierung und die sie begleitenden Politiken
zu einer dramatischen Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung
geführt hat, versucht die Europäische Union seit einigen Jahren immer
aggressiver, ihre Liberalisierungsagenda im europäischen Großraum und,
das stellt die außenpolitische Entsprechung der Lissabon-Strategie dar,
auch darüber hinaus durchzusetzen. In diesem Zusammenhang ist es mehr
als zynisch, wenn der Lissabonner Vertrag in Artikel 21 (2) angibt, die
Europäische Union bekenne sich zu dem „vorrangigen Ziel, die Armut zu
beseitigen“, nur um im nächsten Satz als zentrale Maßnahme hierfür
folgendes zu benennen: „"die Integration aller Länder in die
Weltwirtschaft zu fördern, unter anderem auch durch den schrittweisen
Abbau internationaler Handelshemmnisse.“

Hierbei
kommt dem Militär die Aufgabe zu, die dem neoliberalen
Weltwirtschaftsmodell inhärenten Hierarchie- und
Ausbeutungsverhältnisse abzusichern und weltweit durchzusetzen. Selbst
die Weltbank räumt inzwischen ein, dass Armut, nicht etwa religiöse,
ethnische oder sonstige Faktoren wie zumeist suggeriert wird, der bei
weitem einflussreichste Faktor für die gewaltsame Eskalation von
Konflikten in der Dritten Welt darstellt.[17] Während also die
Globalisierung einerseits den westlichen Großkonzernen neue
Profitmöglichkeiten eröffnete, müssen auf der anderen Seite die
permanent produzierten Konflikte „befriedet“ werden, um die Stabilität
der globalen Ordnung zu garantieren.

Darüber
hinaus gilt es, die erzielten „Fortschritte“ in diesem Bereich
irreversibel zu gestalten, wie ein Beitrag in der Zeitschrift "griephan
global security", die gegenwärtig versucht, sich als Zentralorgan an
der Schnittstelle zwischen Sicherheitspolitik und Wirtschaft zu
etablieren, verdeutlicht: „Zur Zeit ist eines der größten Risiken, dass
die gegenwärtig Ausgeschlossenen irgendwann Gehör finden und ihren
Einfluss dann auf nationaler Ebene wieder geltend machen. Daraus
entsteht sowohl für globale Unternehmen als auch für Investoren eine
Herausforderung: Wie schützt man globale Unternehmensstrukturen in
einer Zeit, wo sich das ‚Länderrisiko‘ im weitesten Sinne verschärft?
Unternehmen müssen [sich] gegen politische und soziale Unruhen in den
Nationalstaaten sichern."[18]


7. Die Imperiale Ordnung des Robert Cooper

Sollte
diese wirtschaftliche Expansionsstrategie jedoch auf Widerstände
stoßen, entweder in Form von sozialen Unruhen, Armutskonflikten, die
sich in gewaltsame Konflikte niederschlagen oder renitenten
Regierungen, die sich dem EU-Liberalisierungsprojekt widersetzen, ist
die Union zunehmend bereit, ihr Militär zur Aufrechterhaltung der
imperialen Ordnung einzusetzen. Dies legen etwa die Aussagen Robert
Coopers, seines Zeichens Büroleiter Javier Solanas und Hauptautor der
Europäischen Sicherheitsstrategie, nahe: „Der postmoderne Imperialismus
hat zwei Komponenten. Die erste ist der freiwillige Imperialismus der
globalen Ökonomie. Er wird normalerweise von einem internationalen
Konsortium durch internationale Finanzinstitutionen wie IWF und
Weltbank ausgeübt […] Die zweite Dimension des postmodernen
Imperialismus könnte der Imperialismus des Nachbarn genannt werden.
Instabilität in der Nachbarschaft stellt eine Gefahr dar, die kein
Staat ignorieren kann. Politische Misswirtschaft, ethnische Gewalt und
Kriminalität auf dem Balkan stellen eine Gefahr für Europa dar. Die
Antwort hierauf war, eine Art freiwilliges UN-Protektorat im Kosovo und
in Bosnien zu schaffen.“[19] Damit redet der EU-Spitzenpolitiker einer
de facto Re-Kolonisierung der Peripherie das Wort, die keineswegs
freiwillig erfolgt.

Darüber
hinaus geht es Cooper nicht nur darum, die imperiale Ordnung im
europäischen Großraum abzusichern, sondern sie auch gegenüber dem Rest
der Welt durchzusetzen: „Die Herausforderung der postmodernen Welt ist
es, mit der Idee doppelter Standards klarzukommen. Unter uns gehen wir
auf der Basis von Gesetzen und offener kooperativer Sicherheit um. Aber
wenn es um traditionellere Staaten außerhalb des postmodernen
Kontinents Europa geht, müssen wir auf die raueren Methoden einer
vergangenen Ära zurückgreifen – Gewalt, präventive Angriffe,
Irreführung, was auch immer nötig ist, um mit denen klarzukommen, die
immer noch im 19. Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich
selber stand. Unter uns halten wir uns an das Gesetz, aber wenn wir im
Dschungel operieren, müssen wir ebenfalls das Gesetz des Dschungels
anwenden.“[20]

Vor
diesem Hintergrund häufen sich nassforsche Plädoyers wie etwa vom
Chefkolumnisten der Welt am Sonntag, die Europäische Union müsse das
„Imperium der Zukunft“ werden und künftig z.B. als „imperiale
Stabilisierungsmacht“ in Afrika agieren.[21] Auf eine perfide Weise ist
dies nur konsequent. Denn solange keine Bereitschaft zur Veränderung
der herrschenden Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnisse besteht, wird
wenig anderes übrig bleiben, als diese imperiale Ordnung militärisch
gegen die „Verdammten dieser Erde“[22] abzusichern.


Endnoten

[1] Alan Posener, Globale Politik – Warum Europa das Zeug zur Weltmacht hat, Die Welt vom 15.9.2007, 7.
[2] „Dimensionen eines Imperiums“ (Interview mit José Manuel Barroso), Die Welt vom 17.10.2007, 3.
[3] Europäischer Rat Helsinki 10./11.12.1999 Schlussfolgerung des Vorsitzes Anlage IV.
[4] Allein im Jahr 2008 wurden bis Mai drei Einsätze (im Tschad, in Guinea-Bissau und im Kosovo) begonnen.
[5]
Otfried Nassauer, Europas schnelle Eingreifverbände, Berlin-Information
Center for Transnational Security-Stichwort, November 2004.
[6] Europäische Sicherheitsstrategie, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt, Brüssel 12.12.2003.
[7] Ebd., 6 ff.
[8]
Rat der Europäischen Union, Konsolidierte Fassungen des Vertrags über
die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union, Brüssel, den 15.4.2008. Die im Folgenden
angegebenen Artikelnummern beziehen sich auf diese Fassung des
Vertrages.
[9] Staats- und Regierungschefs verabschieden Reform der Europäischen Union, e-public, das Europa-Magazin, Nr. 50/2007.
[10] Jean-Claude Paye, Ausnahmezustand in Permanenz, Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2006, 1089-1096, 1093.
[11]
Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, 2007/C 303/02, 1 f., wo auf
Art. 2 Abs. 2 lit. C EMRK Bezug genommen wird, der normiert: „Eine
Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie
durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich
ist, um […] einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“.
[12]
BVerfGE 90, 286 (381 ff.); Gesetz über die parlamentarische Beteiligung
bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im
Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz), BGBl. 2005 I, 775 ff.
[13] Handelsblatt vom 7.1.2007: CSU-Staatssekretär will „Doppelbeschluss“ für Auslandeinsätze.
[14] Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland, Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 6.5.2008.
[15] Andreas Wehr, Vom Verfassung- zum Reformvertrag, Marxistische Blätter 5/2007.
[16]
André Dumoulin, u.a.: European Defence – A Proposal for a White Paper,
Report of an independent Task Force, Paris, Mai 2004, 81 ff.
[17] World Bank, Breaking the Conflict Trap: Civil War and Development Policy, Oxford 2003.
[18] David Bowers, Nationale Bedrohungen für globale Bestrebungen, in: griephan global security, Herbst 2007, 8-14, 10.
[19] Robert Cooper, The Post-Modern State, in: Mark Leonard (ed.), Re-Ordering the World, London 2002, 11-20, 18.
[20] Ebd., 16.
[21] Posener, Alan: Globale Politik – Warum Europa das Zeug zur Weltmacht hat, Die Welt, 16.9.2007
[22] Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 2009 (1961).

Source: http://www.imi-online.de/download/KJ_Pflueger.pdf