Die Aufregung um die „Nacktscanner“

In die Privat- und Intimsphäre wurde schon lange und tiefer eingedrungen, warum also die Hysterie über unscharfe Nacktbilder?

[heise.de] Große Aufregung (1) herrscht
(2) bei Politiker derzeit über die "Nacktscanner", die, wenn es nach
der EU-Kommission geht, möglicherweise an den Flughäfen installiert
werden sollen, um durch die Kleidung der Passagiere hindurch nach
verborgenen Gegenständen zu suchen. Sicherheit, das ist klar, setzt
Transparenz voraus. Sie wird buchstäblich von den Scannern hergestellt,
die dem Bedienpersonal zwar unscharfe, aber dennoch relativ genaue
Bilder des nackten Körpers präsentieren.

Es ist von Peepshow, Striptease, Eindringen in die Intimsphäre und der
Entwürdigung des Menschen die Rede, der sich den neugierigen Blicken
eines wildfremden Menschen aussetzen muss. Jetzt scheinen die
Überwachungsfanatiker, die in den letzten Jahren fast ungehindert für
staatliche Aufklärung sorgen konnten und jede neue technische
Möglichkeit aufgriffen, sie zu erweitern, eine Grenze überschritten zu
haben.

Die Grenze, das unnötige und massenhafte Eindringen
in die Privatsphäre, wurde natürlich schon längst überschritten,
gestört hat es allerdings nur wenige. Man blieb dabei, dass derjenige,
der nichts zu verbergen hat, auch von der Aufklärung nichts zu
befürchten habe. Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung,
Überwachung der Kommunikation und des Verhaltens im Internet, Sammeln
und Austauschen von persönlichen Daten der Flugpassagiere,
Videokameras, biometrische Ausweise, Terrorlisten, Aushebelung der
Grenzen zwischen den Befugnissen von Polizei, Geheimdiensten und
Militär. Alles kein großes Problem, trifft ja nur Terroristen.

Aber jetzt, wo ein Sicherheitsarbeiter ein unscharfes Bild vom nackten
Körper erhält und der gläserne Bürger zum nackten Passagier wird,
beginnt man sich zu genieren. Am Strand, in der Sauna, im Internet und
auch sonst ist das Zeigen des nackten oder fast nackten Körpers kein
Problem, sondern gerne schon einmal Pflicht, Vergnügen und
Selbstverständlichkeit. Der nackte Körper selbst verrät
sicherheitsstrategisch nichts, viel mehr dringt man in die Intimsphäre
ein, wenn man Menschen belauscht, ihre Emails liest, ihre Wege verfolgt
und die Kontakte aufzeichnet. Natürlich kann man sagen, dass der Blick
auf den virtuellen nackten Körper distanzierter ist, als wenn das
Sicherheitspersonal den Körper mit den Händen abtastet und nach
verborgenen Gegenständen sucht. Und natürlich ist es Blödsinn, wenn
etwa die die innenpolitische Sprecherin der FDP, Gisela Piltz, sagt,
dass mit den Nacktscannern "das letzte Stück Privat- und Intimsphäre
für Fluggäste" fällt. Durch den Anblick von einem bisschen Haut, den
Speckfalten, den Geschlechtsorganen wird die ansonsten medial und
anderswie dauerhafte ausgestellte Körperlichkeit nicht zum Gradmesser
für die endgültige Zerstörung der Privat- und Intimsphäre, zumindest
nicht für die Menschen in der westlichen, liberalen und sexuell
aufgeheizten Welt, in der permanent sehr viel mehr obszön gezeigt wird
und zu sehen ist.

Gleichwohl ist die Aufregung verständlich. Es geht um
eine symbolische Aktion, auch wenn sie technisch vollzogen wird.
Ausgezogen zu werden, heißt auch, einen Schutz und die Freiheit zu
verlieren, sich zeigen und darstellen zu können, wie man will.
Zwangsweise nackt (und unbewaffnet, also wehrlos) sich den Blicken von
anderen aussetzen zu müssen, wird erfahren als Demütigung. Nicht
umsonst wurden Menschen in den Konzentrationslagern und in Abu Ghraib ( Sadistische KZ-Spiele
(3)) ausgezogen und wurden nackt denen ausgesetzt, die die Macht über
sie auch durch die Nacktheit ihrer Opfer demonstrierten. Die
Selbstachtung wird damit untergraben und die Verletzbarkeit deutlich,
schließlich ist jede Kleidung auch eine Art Panzer und eine Maske. Man
könnte vielleicht hoffen, dass das buchstäbliche Ausgezogenwerden
endlich dazu führt, dass die Aufmerksamkeit auf Datenschutz und
Überwachung größer wird und der Widerstand auch politisch wächst, immer
weiter ausgezogen werden.

Es gab allerdings auch in den USA und in Großbritannien anfangs einen
ähnlichen Aufschrei, als die Nacktscanner an einigen Flughäfen
eingeführt wurden. Die Aufregung ist jedoch schnell verflogen und durch
andere Skandale ersetzt worden, die ebenso ergebnislos wieder abgelöst
wurden. Die von Medien und Politik inszenierten hysterischen Reaktionen
auf Ereignisse haben wohl den Effekt, dass Energie und Aufmerksamkeit
zu schnell verpuffen. Wer nachhaltig wie die Sicherheitspolitiker und
die Sicherheitsindustrie seine Interessen verfolgt, duckt sich einfach
schnell weg, um nach der Aufregung und in deren Windschatten desto
erfolgreicher die eigenen Interessen voranbringen zu können. Die Lobby
gegen den Überwachungswahn ist schlicht zu schwach, wahrscheinlich auch
deswegen, weil dies zu wenig sexy ist. Aufklärung und Enthüllung ist
da, auch journalistisch, eher gefragt. Ebenso wie Voyeurismus. Die
Hoffnung allerdings bleibt, dass die listenreiche Kunst des
Sich-Verbergens und Maskierens mit dem fortschreitenden Zeitalter der
Aufklärung wieder interessanter werden wird.

Links

(1) http://www.heise.de/newsticker/EU-Parlamentarier-protestieren-gegen-Nackt-Scanner-an-Flughaefen–/meldung/117827
(2) http://www.sueddeutsche.de/politik/320/315213/text/
(3) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17327/1.html

Source:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28994/1.html