Frankreich: Verhaftungen wegen Hakenkrallen-Anschlägen

[de.indymedia.org] In Frankreich kam es laut Berichten bürgerlicher
Medien und Presseagenturen am Donnerstag, den 12. November in drei
Städten zu Verhaftungen in Zusammenhang mit Hakenkrallenangriffen auf
Zugstrecken am vergangenen Wochenende. Den Berichten zufolge wurden 10
Personen verhaftet, die wahlweise als Angehörige einer
"anarchistischen" oder "anarcho-autonomen" Gruppe oder "Zelle" mit
internationalen Kontakten zu gleichgesinnten Gruppen beschrieben
werden. Politiker und Medien stricken in ihren ersten Kommentierungen
am Konstrukt eines internationalen "Terrornetzwerks" und einer
Wiederkehr "linken Terrorismus" im Stile der 70er Jahre. Solche
Deutungen stehen im auffälligen Wiederspruch zu Stellungnahmen der
Polizei, die bestätigen, daß die Hakenkrallen offenbar umsichtig
angebracht wurden, um eine Verletzung von Menschen auszuschließen.
Inzwischen wird einzelnen Verdächtigen auch unterstellt, für einen
Anschlag in den USA verantwortlich zu sein.
Die
Hakenkrallen-Anschläge auf Oberleitungen der Hochgeschwindigkeitszüge
TGV fanden am vergangenen Wochenende statt und wurden mit dem Transport
hochradioaktiven Atommülls von La Hague nach Gorleben in Verbindung
gebracht. Nach den erfolgreichen Anschlägen auf drei Zugstrecken am
Samstag war es bei über 160 Hochgeschwindigkeitszügen zu Verspätungen
gekommen. Auch bei internationalen Zügen nach Brüssel, London und den
Niederlanden kam es zu Verzögerungen.

An
den Razzien in den frühen Morgenstunden des 12. November, bei denen es
zu den 10 Verhaftungen kam, sollen über 300 Polizeibeamte eingesetzt
worden. Die Razzien fanden in Paris, Tarnac und Rouen statt und führten
laut Angaben des französischen Innenministeriums zunächst zur
Verhaftung von 20 Personen, von denen 10 weiterhin festgehalten werden.
Angeblich soll ein Fingerabdruck in der Nähe eines Tatorts die
Ermittler auf eine libertäre Kommune in Tarnac gebracht haben. Zwei der
Verhafteten werden von der Presse bereits namentlich genannt: Julien
Coupat, dem unterstellt wird, "Führer" der Gruppe zu sein, und seine
Freundin Yldune L.

Experten der Zuggesellschaft und der
Ermittlungsbehörden hatten nach den ersten Untersuchungen berichtetet,
die Hakenkrallen seien so angebracht worden, daß sie Schaden an den
Oberleitungen anrichten konnten, ohne Unfälle zu verursachen. Auch
wurde den UrheberInnen technischer Sachverstand bescheinigt. Ein
Zusammenhang zu einem Vorfall in Südfrankreich vom Sonntag, bei dem ein
TGV gegen einen auf den Gleisen zurückgelassenen Betonblock stiess,
wurde von den Behörden daher ausgeschlossen. Die Polizei geht davon
aus, daß es sich dabei um eine Aktion von NachahmerInnen handelte, die
"nicht mit der anarchistischen Bewegung verbunden" sei.

Trotz
solch eindeutiger Hinweise, daß es den UrheberInnen lediglich um
Sachbeschädigungen ging und jegliche Gefährdung von Menschen
ausgeschlossen wurde, überschlagen sich PolitikerInnen und Medien nun
darin, die Verhafteten als furchteinflößende, gewalttätige Charaktere
zu beschreiben, die Teil eines internationalen Netzwerks sein sollen.

Die
französische Innenministerin Michele Alliot-Marie sagte, der politische
Geheimdienst habe die "ultralinke anarchistische Bewegung" seit Monaten
beobachtet und nach den Anschlägen vom Wochenende zugeschlagen. "Wir
haben festgestellt, daß diese ultralinke Bewegung über Verbindungen in
fünf europäische Länder und in anderen nicht-europäischen Ländern
verfügt" hieß es. Den Verhafteten werden u.a. Kontakte in England,
Belgien, Deutschland, Italien und Griechenland unterstellt.

Alliot-Marie
behauptete weiter: "Diese Individuen zeichnen sich durch eine totale
Ablehnung jeglicher demokratischen politischen Meinungsäußerung und
einen extrem gewalttätigen Tonfall aus."

Die französische
Presseagentur AFP ließ außerdem verlauten, eine Quelle aus dem Umfeld
der Ermittlungsbehörden habe sie darüber informiert, daß mögliche
Verbindungen zwischen den Verdächtigen und der deutschen "extremen
Linken" untersucht würden, welche "die Verantwortung für Aktionen gegen
Züge übernommen hat, die Atommüll transportieren".

Doch damit
nicht genug. In gewollter Verzerrung der von ihr selbst dokumentierten
Vorgänge verbreitet die bürgerliche Presse nun Furcht vor der
"Wiederkehr eines linken Terrorismus der 70er Jahre". So stellt die
britische Times einen Zusammenhang zwischen den Verhafteten und
bewaffneten Gruppen wie der RAF, Action Directe oder den Roten Brigaden
her, behauptet die UrheberInnen der Hakenkrallen-Anschläge hätten sich
von der französischen Action Directe inspirieren lassen und zählt auf,
wie viele Tote auf das Konto der einzelnen bewaffneten Gruppen gehen.
Auch in allen anderen Berichten über die Ereignisse wird trotz ihrer
gewaltfreien Aktion die angebliche Gewalttätigkeit der UrheberInnen
betont und die Existenz eines internationalen linken Netzwerks
beschworen.

Daß zwischen derartigen Terrorphantasien und der
offenbar umsichtig geplanten gewaltfreien Aktion vom Wochenende
keinerlei Zusammenhang besteht, stört die KommentatorInnen nicht. Der
Antiterror-Reflex ist am Beispiel (teils mutmaßlicher) islamischtischer
Terroranschläge in den letzten Jahren emsig eintrainiert worden und
funktioniert nun umstandslos. Libertäre, BürgerrechtlerInnen und
radikale Linke sollten diese Propagandastrategie ernst nehmen, genau
verfolgen und öffentlich darüber aufklären. Denn das Schreckgespenst
des "linken Terrors", das hier von der Presse beschworen wird, ist ein
weiterer Schritt zur Kriminalisierung jeglichen sozialen Protests. Vor
allem Protestbewegungen, die sich direkter Aktionen bedienen, geraten
zunehmend in das Fadenkreuz von Politik und Behörden, wenn es gilt,
AktivistInnen als TerroristInnen darzustellen und mit dem immer
grenzenloser werdenden Instrumentarium des "Kriegs gegen den Terror" zu
bekämpfen. Zwei Beispiele aus der letzten Zeit, die Umweltbewegung ganz
offiziell auf eine Stufe mit Terrorismus zu stellen, waren der
Jahresbericht von Europol, in dem Feldbefreiungen als Terrorismus
eingestuft wurden[1] sowie ein Bericht der
Antiterror-Koordinationseinheit der britischen Polizei, in dem vor der
"wachsenden Gefahr des Öko-Terrorismus" gewarnt und insbesondere die
Gruppe Earth First! mit Genozidabsichten in Verbindung gebracht wird.

Den
Verhafteten vom 12. November werden nun auch nicht mehr bloß die
Anschläge auf die TGV-Oberleitungen vorgeworfen. Gestern berichteten
englischsprachige Medien, das FBI habe zwei von ihnen mit einer
Brandstiftung ("Bombenanschlag") auf ein Rekrutierungszentrum des
US-Militärs am New Yorker Times Square im März in Verbindung gebracht.
Obwohl die beiden namentlich genannten Verdächtigten (s.o.) vor dem
Anschlag ausgereist seien, wären sie angeblich noch nach ihrer Ausreise
bei einem anarchistischen Treffen in New York gesehen worden. Auch
seien sie im Januar angeblich bei einem illegalen Einreiseversuch an
der US-amerikanisch/kanadischen-Grenze mit anarchistischen Texten und
einem Foto des Rekrutierungszentrums aufgegriffen worden. Das FBI habe
darauf die französischen Behörden zur Überwachung der französischen
Kommune in Tarnac veranlasst, behaupten die Presseberichte.

Diese Zusammenfassung beruht ausschließlich auf Artikeln aus der englischsprachigen bürgerlichen Presse, u.a.:
 http://news.yahoo.com/s/afp/20081111/ts_afp/francerailtransportattackarrests
 http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/europe/article5132089.ece
 http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/france/3451962/French-anarchists-linked-to-New-York-bombing.html

Fussnoten:
[1]  http://de.indymedia.org/2008/04/214921.shtml
[2]  http://www.gipfelsoli.org/Home/Other_Protests/Klima/5686.html

 
Source: de.indymedia.org